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Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Titel: Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Löffler
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sogar in seinem geschundenen Heimatland: Die längste Zeit wurden seine Bücher, wiewohl verboten, heimlich ins Somalische übersetzt und kursierten als Samisdat-Schriften im Untergrund. Auch durch eine ständige Radiosendung war Nuruddin Farah in Somalia präsent.
    1996 kehrte er erstmals nach zweiundzwanzig Jahren nach Somalia zurück – zu einem ungünstigen Zeitpunkt angesichts der herrschenden Anarchie durch kämpfende Clan-Häuptlinge. Ein lokaler Miliz-Führer ließ Farah nach seiner Ankunft in der Stadt Kismayo als Geisel nehmen und einsperren: «Man hielt mich in einem winzigen Raum gefangen», berichtete Farah später in Interviews, «weil man argwöhnte, ich würde Unfreundliches über die Zustände in Somalia schreiben. Meine Anwesenheit sprach sich herum, die Menschen kamen, um mich zu sehen. Sie durften einzeln in den Raum und mit mir sprechen. Sie erzählten mir ihre Geschichten – und das war mein eigentliches Interesse. Nach fünf Tagen kam ich frei – gegen das Versprechen, das Land sofort zu verlassen und nicht darüber zu schreiben. Ich fuhr nach Nairobi und sprach dort mit der Weltpresse.»
    Und selbstverständlich hat Nuruddin Farah darüber auch geschrieben. So hat ihm sein Kismayo-Abenteuer geholfen, seinen Roman «Secrets» zu vollenden, in dem die letzten Tage von Mogadischu in der Woche vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs 1991 erzählt werden – eine kritische Phase, die der Exil-Autor Farah nicht aus eigenem Erleben kannte, weshalb er gerne auf die Erfahrungen seiner Gesprächspartner zurückgriff.
    Inzwischen hat er sein Herkunftsland mehrmals besucht, vorallem, um für seine Bücher zu recherchieren: «Das Land ist allerdings nicht sicher genug, um dort länger als ein, zwei Monate zu bleiben.» Im Grunde bildet Somalia mit seiner katastrophal verunglückten Geschichte seit der Unabhängigkeit nur die Folie für Farahs zentrales Erzählinteresse – die Frage nämlich, wie Menschen unter den Bedingungen des Post- und des Neokolonialismus leben und überleben. Neokoloniale Subjekte sind für ihn unfreie, fragmentierte und vital eingeschränkte Menschen mit ungesicherter Identität, die nicht Herren im eigenen Hause sind, sondern Spielball ausländischer Interessen, diesfalls der Interessen Amerikas, Äthiopiens und radikaler Wahhabiten, die von der Arabischen Halbinsel einsickern und sich mit ihren Terrornetzwerken und islamistischen Gottesstaat-Ideen am Horn von Afrika festsetzen. Sie alle sind, davon zeigt sich Farah überzeugt, an einer Fortdauer des Bürgerkriegs interessiert. Auch die Profiteure der Piraterie wissen das Chaos zu schätzen: Mangels Steuerbehörden und staatlicher Kontrollen können sie die gesetzlose Lage für sich ausbeuten. In allen Romanen Farahs wird der afrikanische Identitätsverlust als Folge von Kolonisierung und Neokolonialismus verhandelt, wird Afrika als unfreier, abhängiger Kontinent unter wechselnden Gebietern beschrieben.
    Auch die afrikanischen Despoten, die korrupten, grotesken Schreckensfiguren und durchgeknallten Schlächter der 1960er und 1970er Jahre, alle die Barres, Bokassas, Idi Amins, Mobutus, Mugabes oder Mengistus, gelten ihm weniger als hausgemacht, sondern vielmehr als Hinterlassenschaft des Kolonialismus. Nach dem Befreiungskampf haben sich einheimische Emporkömmlinge das Erbe der Kolonialherren angeeignet und die wahren Eliten ihrer Länder in den Untergrund, ins Gefängnis oder ins Exil gezwungen: «Irgendein Kerl, der der Saufkumpan der Kolonialmacht gewesen war, wurde gebeten, Staatsoberhaupt zu werden», sagt Farah im Interview. «Es gab keine Unabhängigkeit. Durch die Hintertür kamen dieselben Kolonialbeamten zurück – als Experten, Berater und Entwicklungshelfer.» Das Thema Diktatur ist für diesen Autor daher keineswegs eine somalische Spezialität, sondern eine allgegenwärtige Krankheit des politischen Systems in Afrika in den Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit. Und tatsächlichhaben sich, ähnlich wie Nuruddin Farah mit seinem Gewaltherrscher Siad Barre, auch andere Autoren, etwa V. S. Naipaul oder NgÅ©gÄ© wa Thiong’o, mit dem Typus des afrikanischen Diktators exemplarisch beschäftigt.
    Farahs Romanfiguren sind gefangen zwischen vormodernen Lebensweisen und deren überholten Strukturen, wie etwa dem Clan-System, und den

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