Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler
erhalten, indem ich darüber schreibe». Alle seine Romane handeln von Somalia und spielen in Somalia. Sie alle beziehen ihre unerhörte Kraft aus ihrem Stoff, dem geschundenen Land und seinen brutalisierten und verelendeten Einwohnern. Nach Farahs Ansicht wird Somalia von der AuÃenwelt immer noch weitgehend durch die neokoloniale Brille betrachtet und auf die Stereotypen westlicher Reporter reduziert, die am liebsten aus Nairobi, aus sicherer Distanz, über Somalia berichten. Er schreibe deshalb, so Farah, «um die Komplexität Somalias und seiner Menschen darzustellen und um eine Alternative zu liefern zum klischeehaften propagandistischen Zerrbild der westlichen Medien. Dieses Land wird grob missverstanden. Diese Fehlinformationen möchte ich korrigieren.»
Literatur als Alternative zur westlichen Propaganda. Dass einem solchen Erzählprojekt ein starker didaktischer Impuls und ein gewisser Hang zum Leitartikeln und zur politischen Belehrung innewohnen, ist nicht zu übersehen. Dialoge in Farahs Romanen sind nicht selten pädagogische Einführungen in die Landeskunde und Schnellkurse in politischer Bildung, auf mehrere Stimmen verteilt. Und wenn Farah predigt, statt zu erzählen, dann liest er sich mitunter steif und hölzern. Doch gleichsam hinter seinem eigenen Rücken ist er ein lebhafter und plastischer Epiker, der die unerhört komplizierten Konfliktlinien in Somalia erzählend transparent zu machen versteht.
Nuruddin Farah hat sein Geburtsland bereits 1974, noch keine dreiÃig Jahre alt, verlassen, um als Stipendiat in London Theaterwissenschaft zu studieren und am
Royal Court Theatre
zu hospitieren. Als er wegen seiner Kritik am Militärregime Siad Barres in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde, entschloss er sich 1975, nicht heimzukehren, sondern ins politische Exil zu gehen. Dieses Exil dauert nunmehr fast vierzig Jahre an. Seit damals führt Farah das typische akademische Nomadenleben afrikanischer Exil-Intellektueller, die rastlos, ohne Fixpunkt und ohne festen Wohnsitz durch die Welt ziehen, in einer nicht enden wollenden Abfolge von Gastdozenturen, Lehraufträgen, Fellowships, Stipendien- und Studienaufenthalten auf mehreren Kontinenten. Da geht es Nuruddin Farah nicht viel anders als J. M. Coetzee aus Südafrika oder NgÅ©gÄ© wa Thiongâo aus Kenia. Als Gastprofessor unterrichtete Farah Literatur an amerikanischen Colleges und Universitäten, in Italien, England, Deutschland, Nigeria, Sudan, Uganda, Gambia, Ãthiopien und Südafrika. Heute lebt er abwechselnd in Minneapolis, Minnesota, wo eine gröÃere somalische Enklave existiert, und in Kapstadt.
Farah hat inzwischen fast ein Dutzend Romane veröffentlicht, die in über zwanzig Sprachen übersetzt sind. Sie repräsentieren exemplarisch die Entstehung einer postkolonialen Literatur am Horn von Afrika und folgen in ihren Sujets jeweils annähernd den Wendungen und Windungen der fatalen somalischen Politik. In seinem Debütroman «From a Crooked Rib» (Aus einer gekrümmten Rippe) beschrieb er noch die zeitlose zyklische Welt eines Clans von Hirtennomaden und die Mühen einer jungen Frau, sich aus den traditionellen Fesseln der archaischen Clan-Kultur zu befreien.
Darauf lieà er «Variationen über das Thema einer afrikanischen Diktatur» folgen, eine Roman-Trilogie über das Langzeitregime des Gewaltherrschers Siad Barre und über dessen Auswirkungen auf die Menschen. Ãberhaupt gliedert Farah seine Werke gerne in Trilogien. Es folgte das Triptychon «Blut in der Sonne», eine dreibändige Auseinandersetzung mit dem Bürgerkrieg: «Maps» (auf Deutsch: Maps), «Gifts» (Duniyas Gaben) und «Secrets» (Geheimnisse). Und in der jüngsten Roman-Serie «Links» (auf Deutsch: Links), «Knots» (Netze)und «Crossbones» (Gekapert) werden die Rückkehrversuche von Exil-Somalis in das zerstörte, vom Bürgerkrieg zerrüttete und immer noch umkämpfte Mogadischu erzählt, vor dem Hintergrund der Machtkämpfe zwischen den Warlords und den erstarkenden radikalen Islamisten mit ihren Shabaab-Milizen und angesichts des Einmarsches äthiopischer Truppen und des Aufkommens organisierter Piraterie im groÃen Stil.
Seine Leser findet Nuruddin Farah weltweit auch in der somalischen Diaspora â «Anderthalb Millionen Somalis leben im Ausland im Exil, das sind gebildete Leute, die lesen mich» â und
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