Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler
Entmächtigungsprozessen der globalisierten Moderne, denen sie und ihr Land hilflos ausgeliefert sind, sei es als strategischer Brückenkopf und Aufmarschgebiet des militanten Islamismus, sei es als Müllkippe der industrialisierten Welt, sei es als Operationsbasis der internationalen Piraterie. Seine Protagonisten sind mehrfach enteignet â ökonomisch, politisch, sozial, kulturell. Und weil sie auch nicht Herr über die kulturellen Narrative sind, die über sie und ihr Land erzählt werden, gibt Farah ihnen in seinen Romanen eine eigene Stimme, indem er Gegenerzählungen für sie intoniert.
So thematisiert er in seiner Trilogie «Maps», «Gifts» und «Secrets» äuÃerst differenziert die Zerstörungskräfte innerhalb der somalischen Gesellschaft. Vor der unheilvollen Kulisse des ausbrechenden Bürgerkriegs geht es in allen drei Romanen um die neokoloniale Enteignung der Körper, um die obsessive Suche von Afrikanern nach Identität â sozial, personal, familial und sexuell. «Maps» erzählt von Somalias zerschlagenen Nationalstaatsträumen und von der Grausamkeit willkürlich gezogener Grenzverläufe, durch die das somalische Siedlungsgebiet des Ogaden Ãthiopien zugesprochen wurde, sehr zum Nachteil der Nomadenidentität der Somalis.
«Dunyas Gaben» (Gifts) verhandelt auf den Gedankenspuren der Gabentausch-Theorie des Kulturanthropologen Marcel Mauss den komplexen Vorgang des Schenkens und Beschenkt-Werdens. In allegorischer Form wird da die Problematik der Hilfe für die sogenannte «Dritte Welt» und das schwierige Machtverhältnis zwischen Geberund Nehmerländern thematisiert. Farah erweist sich als passionierter Kritiker der Entmündigungspolitik unter dem Label «Entwicklungshilfe». Ginge es nach ihm, er würde keinerlei Lebensmittelhilfe zulassen, auÃer in Katastrophenfällen, schon weil diese Gaben die Existenz der einheimischen Bauern ruinieren. Und von den Entwicklungshelfernselbst hat er eine denkbar geringe Meinung: «Anders als in den 1960er Jahren zieht Afrika heute nicht mehr die Interessierten an, sondern eine negative Auslese. Heute kommen die Arbeitslosen aus Amerika und Europa â die Mehrheit der Entwicklungshelfer ist unintelligent, ungebildet und desinteressiert, die Arbeit ist für sie bloà ein Job. Die internationale Aid-Industrie hat Afrika mehr geschadet als genützt», so lautet Farahs harsches Urteil.
Zum Glück hält Nuruddin Farah in seinen Romanen seine politischen Ansichten zumeist literarisch im Zaum und vertraut lieber auf die Kraft der Bilder, Metaphern und Natursymbole. Auch taucht er nach den sexuellen Unterströmungen der islamischen Frauenfeindschaft und spürt den mündlichen Traditionen Somalias nach, den Mythen, Sprichwörtern und nomadischen Ãberlieferungen, aber auch der Sufi-Mystik und den magischen Restbeständen eines vormodernen afrikanischen Bewusstseins. Seine Romane sind komplexer, vielschichtiger und vieldeutiger, als seine schroffen Ansichten zur Afrika-Politik des Auslands vermuten lassen.
In der nun vollendeten jüngsten Trilogie wird das besonders deutlich. Die drei Romane «Links», «Netze» und «Gekapert» sind lose miteinander verkettet und durch einzelne durchgängige Figuren verbunden, aber auch unabhängig voneinander lesbar. Die Helden sind Exil-Somalis, die nach Jahrzehnten in der amerikanischen oder kanadischen Emigration nach Mogadischu zurückkehren und eine vom Bürgerkrieg zerrüttete, geisterhafte Ruinenstadt vorfinden, die sie kaum wiedererkennen und in der sie sich nur unter Schwierigkeiten zurechtfinden â nicht nur deshalb, weil die StraÃen oft nur noch Trümmerpfade sind und keine Namen mehr tragen.
Mogadischu ist ein unheimlicher, bodenloser Ort geworden, in dem auf nichts Verlass ist. Man kann nichts und niemandem trauen. Jeder in der Stadt könnte eine geheime Agenda haben und undurchschaubare Absichten hegen. «Lassen Sie sich nicht täuschen», lautet eine ständig gehörte Warnung an die Rückkehrer. Jeder Schritt wird bespitzelt und insgeheim kontrolliert, jede Begegnung mit einem Einheimischen könnte lebensgefährlich sein. In einer Art «Stiller Post» verständigen sich die Ortsbewohner durch Blicke und Signale über dieAbsichten und Unternehmungen der Besucher, um sie zu durchkreuzen oder für sich auszunutzen. Die Heimkehrer
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