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Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Titel: Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Löffler
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stolpern durch vermintes Gelände, auch im metaphorischen Sinn. Zudem terrorisieren Mörderbanden bewaffneter Strolche die ganze Stadt und machen jede Bewegung unsicher: Manchmal ist es günstiger, sie als Begleitschutz anzuheuern, statt von ihnen als Geisel genommen zu werden. Man kann sich also aussuchen, was man lieber zahlen möchte – Schutzoder Lösegeld.
    Kein Mensch in Mogadischu ist, was er auf den ersten Blick scheint. Der Taxifahrer, der den Rückkehrer vom Flughafen abholt und in die Stadt bringt, ist gar kein Chauffeur: Einst war er Diplomat in der somalischen Botschaft in Rom, dann Spitzenberater des Diktators, und jetzt ist er der zweite Mann einer bewaffneten Miliz, die von Äthiopien unterstützt wird. Der weiß gekleidete Bärtige, der einem anderen Rückkehrer bei der Einreise am Flughafen den Laptop konfisziert, ist weder Religionswächter noch Zollbeamter, sondern einerseits hochrangiger Geheimdienstler bei den Shabaab-Milizen, andererseits betreibt er im Basar einen Computerladen, spezialisiert auf die Entfernung der Computerviren, die er am Flughafen in den beschlagnahmten Laptops selbst installiert hat. Und der Bettler im Straßenstaub war einst, während der Diktatur, ein Regierungsbeamter, «ein berüchtigter Folterknecht, der sein sadistisches Vergnügen darin gefunden hatte, politische Gefangene im Hungerstreik dazu zu zwingen, ihre eigenen Exkremente zu essen».
    Geradezu abgründig in seiner falschen Bonhomie ist der würdevolle Herr, der in «Links» dem Rückkehrer Jeebleh auf dem Flughafen in den Weg tritt und sich als Bestattungsunternehmer und Gründer einer humanitären Nicht-Regierungs-Organisation vorstellt, der mit seinem Lieferwagen die überall herumliegenden Bürgerkriegsleichen einsammelt und dafür sorgt, dass sie ordentlich begraben werden. Abgesehen davon, dass dieser vorgebliche Wohltäter und NGO-Leiter in alle möglichen dunklen Schiebergeschäfte verwickelt ist, betreibt er auch noch als florierendes Exportgeschäft einen schwunghaften Organhandel. Denn bei den angeblichen Bürgerkriegsleichen handelt es sich in Wahrheit um auftragsgemäß Ermordete, die ohne Herz undNieren bestattet werden. Meist werden die entnommenen und ins Ausland geschmuggelten Organe bereits in Krankenhäusern in Nahost teuer transplantiert, während der unveräußerliche Rest in Mogadischu gerade begraben wird.
    Hauptthema in «Links» ist das Clan-Wesen, das in Farahs Augen die Hauptschuld am staatlichen Zusammenbruch Somalias trägt. Das Clan-Wesen sei ein Hirngespinst, heißt es einmal im Roman: «Auf Basis dieses Trugbildes kann man auch keine zivile Gesellschaft aufbauen.» Der Mythos der Blutsverwandtschaft zeitigt Blutsbande ebenso wie Blutfehden, beides unausweichlich, unüberwindlich, unentwirrbar. Die familiären Vernetzungen und verwandtschaftlichen Verlinkungen jedes Einzelnen sind aberwitzig kompliziert. Um sich in Somalia bewegen zu können, muss jeder Mensch einen ganzen Katalog möglicher Beziehungen im Kopf behalten und sich ständig alle Blutsverwandtschaften und Familienvernetzungen durch Einheirat vergegenwärtigen. Die «Links» halten den Einzelnen gefangen, sie können ihn in seinen Loyalitätsgefühlen zerreißen, sofern die väterliche und die mütterliche Linie in verfeindeten Clans wurzeln.
    Das Clan-System verwickelt jeden in ein undurchschaubares Gespinst von Abhängigkeiten und Feindschaften, erzwungenen Zugehörigkeiten und aufgenötigten Gehässigkeiten. Zudem hat jede Clan-Familie ihre eigene bewaffnete Miliz. Gefragt wird nicht: «Wie heißt du?», sondern «Zu welcher Clan-Familie gehörst du?». Das führt schließlich zum Terror der Personalpronomina und zu tödlichen Frontstellungen: hier «Wir», dort «Sie». Jedes «Ich» wird sofort von einem «Wir» vereinnahmt, das Clan-Denken zwingt die Somalis, «mit ihren Fürwörtern sowohl zu fraternisieren als auch zu polarisieren». Nicht das Individuum zählt, sondern einzig die Zurechnung zu den «Unsrigen» oder den «Ihrigen».
    Als Ausweg aus den Clan-Zwängen und zur Überwindung der Tyrannei der Verwandtschaft entwirft Nuruddin Farah in «Links» eine sonderbare, prekäre und brüchige Utopie. Der Roman setzt seine Hoffnung auf den Beifang des Bürgerkriegs – auf die unzähligen Waisenkinder mit unklarer

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