Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler
Herkunft, die daher auch von keinem Clan beansprucht werden können. Vielleicht können die clanlosen undanhangfreien Kinder die totale Familiarisierung der Gesellschaft überwinden helfen?
Während «Links» auf die Kinder hofft, setzt der Folgeroman «Netze» (Knots) auf die Frauen. Hier ist es eine somalische Frau, Cambara, die nach zwanzig Jahren im kanadischen Exil mit einem Koffer voller Dollars in das geschundene Mogadischu zurückkommt, um das Anwesen ihrer Familie wieder in Besitz zu nehmen, das sich in der Zwischenzeit einer der Warlords mit seinem Anhang von Familie und Privat-Gang angeeignet hat. Die Romane hängen insofern strukturell zusammen, als beide Heimkehrer, Jeebleh in «Links» und Cambara in «Netze», in Mogadischu auf dieselben einheimischen Gestalten stoÃen, ohne zunächst sicher sein zu können, in wessen Auftrag und in welcher Absicht diese Leute ihnen entgegentreten, ob als uneigennützige Helfer und Beschützer oder als Spitzel, Verräter, Geschäftemacher. Vor den einen müssen sich die Ankömmlinge in Acht nehmen, die anderen stehen ihnen zur Seite und helfen, sich auf diesem gefährlichen Terrain zurechtzufinden.
Der Roman «Netze» spielt auf dem Höhepunkt der Kämpfe zwischen den Clan-Herren des Nordens und des Südens. Noch herrschen die Warlords ungebrochen über Mogadischu. Schwer bewaffnete Kindersoldaten und Banden von verwilderten Halbwüchsigen terrorisieren die Stadt und erpressen Schutzgelder. Ohne Bandenschutz kann man sich kaum auf die StraÃe wagen. Und ohne Verschleierung sind Frauen Freiwild: Oft tragen sie den Körperschleier zum Selbstschutz vor den marodierenden Gangs.
Die Männer kommen im Buch besonders schlecht weg. Bei ihnen lässt der Autor seinem Zorn und seiner Verachtung freien Lauf. Ihre Rückständigkeit, Gewalttätigkeit, Unbildung und Trägheit werden als Hauptursachen für den Bürgerkrieg vorgeführt. Oft sind sie Analphabeten. Zumeist sind sie drogensüchtig. Die Rauschdroge Qaat hält sie in den Fängen. Ãberall im Roman drapiert Nuruddin Farah trübäugige und euphorisch verblödete Männer beim gemeinsamen Qaat-Kauen. «Qaat â der kostspielige Zerstörer des sozialen Gefüges», werden die Rauschblätter im Roman «Gekapert» genannt.
Im Gegensatz zu dieser hoffnungslos zurückgebliebenen Männergesellschaftentwickelt Cambara eine groÃe und furchtlose Zielstrebigkeit, sich in Mogadischu durchzusetzen. Dabei findet sie eher zufällig die Unterstützung anderer couragierter Frauen. Sie wird Teil eines somalischen Frauennetzwerks, das ihr hilft, den Warlord aus ihrem Familienbesitz zu vertreiben. Als Friedensaktivistinnen arbeiten diese Frauen daran, die Clan-Versessenheit und Bürgerkriegslüsternheit der Männer zu überwinden. Sie wissen: Dieses «Clan Business» hat die Nation ruiniert. Sie wissen aber auch: In einem Bürgerkrieg ist und bleibt keiner unschuldig. Die Frauen arbeiten daran, die verwilderten Kindersoldaten wieder zu zivilisieren, beispielsweise, indem Cambara mit ihnen ein Theaterstück einstudiert.
«Netze» setzt groÃe Hoffnungen auf die friedensstiftende Kraft von Frauen und stellt diese fragile Utopie zur Ãberwindung der gewalttätigen und barbarischen Männerherrschaft nachdrücklich ans Romanende. Doch mit dieser Hoffnung ist es in «Gekapert» (Crossbones), dem Abschlussband der Trilogie, schon wieder vorbei. Zu Beginn des Romans haben die männlichen Selbstzerstörungskräfte erneut die Oberhand im Land gewonnen â dank der siegreichen Zeloten von der «Union islamischer Gerichte», die nun statt der Warlords das Sagen haben und ihr eigenes fanatisches Regime von Ãberwachung, Unterdrückung und Mordwillkür durchsetzen (ehe sie ihrerseits vertrieben werden). «Die Frauen in Somalia sind nicht länger eine positive Kraft des Fortschritts und des Wandels», sagt eine Romanfigur bedauernd. Schuld seien die Moscheen, reine Männer-Clubs, zu denen Frauen keinen Zugang hätten. Frauen seien auf Schleier tragende Unterwürfigkeit zurückgeworfen worden: «Die Zeiten sind vorbei, als somalische Frauen sich in politischen Bewegungen engagierten und gut organisiert waren. Das gilt nicht mehr.»
Der Roman «Gekapert» spielt zu Jahresende 2006, in den gefährlichen Umbruchswochen knapp vor dem Einmarsch der
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