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Die neuen Leiden des jungen W

Die neuen Leiden des jungen W

Titel: Die neuen Leiden des jungen W Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urlich Plenzdorf
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nicht nach der Natur zeichnen? Nicht abzeichnen?«
    »Er konnte überhaupt nicht zeichnen. Warum er so tat, war auch klar: man sollte ihn für ein verkanntes Genie halten. Bloß warum das, das hab ich nie begriffen. Das war wie eine fixe Idee von ihm. Ich kam auf den Gedanken, ihn in unseren Kindergarten zu bringen und ihn dort eine Wand bemalen zu lassen. Zu verderben war nichts daran. Unser Haus stand auf Abriß. Meine Chefin hatte nichts dagegen. Ich dachte, Edgar würde sich drücken. Er kam aber. Bloß, er war ja so gerissen! Entschuldigen Sie, aber er war wirklich gerissen! Er drückte den Kindern einfach in die Hand, was an Pinseln da war, und ließ sie mit ihm zusammen malen, wozu sie Lust hatten. Ich wußte sofort, was kam. In einer halben Stunde hatten wir das schönste Fresko an der Wand. Und Edgar hatte nicht einen Strich gemacht, jedenfalls so gut wie.«

    Das Ding lief großartig, ich wußte das. Ich wußte, daß kaum was passieren konnte. Kinder können einen ungeheuer anöden, aber malen können sie, daß man kaputtgeht. Wenn ich mir schon Bilder ansah, dann bin ich lieber in einen Kindergarten gegangen als in ein olles Museum. Außerdem schmieren sie sowieso gern Wände voll.
    Die Kindertanten waren ganz weg. Sie fanden einfach herrlich, was ihre Kinderchen da gemacht hatten. Mir gefiel es übrigens auch. Kinder können wirklich malen, daß man kaputtgeht. Und Charlie konnte nichts machen. Die anderen delegierten sie, mir Mittagessen vorzusetzen. Wahrscheinlich hatten sie gemerkt, daß mir Charlie was sein konnte. Sie hätten auch blöd sein müssen. Ich himmelte Charlie die ganze Zeit an. Ich meine, ich himmelte sie nicht an mit Augenaufschlag und so. Das nicht, Leute. Ich hatte auch keine besonders umwerfenden Sehorgane in meinem ollen Hugenottenschädel. Richtige Schweinsritzen gegen Charlies Scheinwerfer. Aber braun. Braun popt, im Ernst. Wieder auf meiner Kolchose, hatte ich vielleicht die beste Idee zeitlebens. Jedenfalls hat sie eine Masse Jux eingebracht. Sie hat echt gepopt. Ich kriegte wieder dieses Buch in die Klauen, dieses Heft. Ich fing automatisch an zu lesen. Ich hatte Zeit, und da hatte ich die Idee. Ich schoß in die Bude, warf den Recorder an und diktierte an Willi:
    Das hatte ich direkt aus dem Buch, auch den Wilhelm. Kurz und gut, Wilhelm, ich habe eine Bekanntschaft gemacht, die mein Herz näher angeht... Einen Engel... Und doch bin ich nicht imstande, dir zu sagen, wie sie vollkommen ist, warum sie vollkommen ist, genug, sie hat allen meinen Sinn gefangengenommen. Ende. Dadurch war ich erst auf die Idee gekommen. Ich schaffte das Band sofort zur Post. Eine Nachricht war ich Willi sowieso schuldig. Schade war bloß, daß ich nicht sehen konnte, wie Old Willi umfiel. Der fiel bestimmt um. Der kriegte Krämpfe. Der verdrehte die Augen und fiel vom Stuhl.

    »Könnte ich dieses Wandbild sehen?«
    »Leider nicht. Unser Haus steht nicht mehr. Wir sind jetzt in einem Neubau. Ich hab zwar ein Bild von Edgar. Aber da ist nichts zu sehen. Es ist ein Schattenriß. Ich sag ja: Er ließ es sich nicht beweisen. Das war einen Tag später. Ich kam zu ihm. Wir wollten ihm ein Honorar zahlen. Dabei kam ich auf den Gedanken, daß er ein Bild von mir machen sollte, diesmal ohne Hilfe. Wir waren ja allein. Was machte er? — Diesen Schattenriß. Das kann schließlich jeder. Aber in seiner Laube hab ich dann seine anderen Bilder gesehen. Ich kann sie nicht beschreiben. Es war nur konfuses Zeug drauf. Das sollte wahrscheinlich abstrakt sein. Aber es war nur konfus, wirklich. Überhaupt sah es furchtbar konfus bei ihm aus. Ich meine: nicht dreckig, aber konfus und schlampig bis dorthinaus.«

    Du liegst völlig richtig, Charlie. Konfus und schlampig und alles, was du willst. Erst dachte ich, mich streift ein Bus, Leute, als Charlie da in meiner Bude stand. Zum Glück war es Nachmittag, und ich war schon einigermaßen kregel. Aber das mit dem Geld war mir gleich klar. Von wegen Honorar. Das war Charlies eigenes Geld und außerdem ein Vorwand. Ich ließ ihr irgendwie keine Ruhe. Ich zierte mich erst mal. Ich sagte: Wofür denn? Ich hab doch keinen Finger krumm gemacht! Und Charlie: Trotzdem! — Ohne Ihre Anleitung wäre es nie geworden.
    Da sagte ich ihr auf den Kopf zu: Das ist doch Ihr eigenes Geld. Von wegen Honorar!
    Dann fiel ihr ein: Schon. Aber ich krieg’s wieder. Muß erst genehmigt werden von oben. Ich dachte, Sie können es brauchen.
    Ich hatte zwar noch Geld, aber brauchen konnte ich’s

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