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Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte

Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte

Titel: Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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Bayern, zusammen mit gehörigen Gebietszuwächsen, dem Besatzer Napoleon verdankte – sah man Anlass, der politischen Aufwertung baulichen Ausdruck zu verleihen. Außerdem entsprach esklassisch herrscherlicher Tätigkeit, zum Ruhm des Landes und der eigenen Dynastie prunkvolle Gebäude errichten zu lassen. Im 19 . Jahrhundert waren das zunehmend historisierende Bauten, nach dem Trauma der Revolutionen in Europa mit trotzigem Verweis auf die große Zeit des europäischen Absolutismus. Daneben kam das Mittelalter in Mode, das seit der Renaissance verpönt gewesen war. Aber welche vergangene Epoche beim Bauen auch favorisiert wurde: Es war gleichzeitig immer Reaktion auf die sich beschleunigende Modernisierung, die auch vielen Herrschern unheimlich wurde.
    Ludwig II . aber baute nicht für sein Land, wie das sein Großvater getan hatte, sondern vor allem für sich selbst, was ihm die Zeitgenossen, allen voran die vernachlässigten Münchner, entschieden übel nahmen. Zudem mochte der König München als Haupt- und Residenzstadt der Wittelsbacher nicht und baute lieber weit weg, auf dem Land. Die Stadt verkörperte für ihn das ungeliebte 19 . Jahrhundert, zudem ließ sich außerhalb eher etwas Eigenständiges schaffen. Die ländliche Abgeschiedenheit kam vielen von Ludwigs Neigungen entgegen: Rückzug vor den Menschen und repräsentativen Pflichten, Nähe zur geliebten Natur, vergleichsweise ungestörtes Ausleben seiner Homosexualität.

    Wenige Jahre nach seinem Regierungsantritt nahm Ludwig sein erstes, wie sich erweisen sollte, vergleichsweise bescheidenes Projekt in Angriff: Schloss Linderhof unweit des oberbayrischen Oberammergau. Sein Architekt Dollmann musste die zeichnerischen Vorgaben Ludwigs umsetzen und ein bereits vorhandenes »Königshäuschen«, von Ludwigs Vater für Jagdaufenthalte errichtet, im Stil des französischen Barock und Rokoko des 17 . Jahrhunderts umbauen und erweitern. Ähnlich hatten die Fachleute des Innenausbaus und der Dekoration stetsmit peniblen Eingaben seiner Majestät zu rechnen. Auch der Park sollte barock und französisch aussehen, was angesichts der gebirgigen Landschaft ringsherum kein leichtes Unterfangen war und nur im Zusammenspiel mit einem englischen Landschaftspark gelang. Als eigene Staffage orderte der König aus dem Theatermagazin die passende Kostümierung, um ganz für sich ein wenig Rokoko-König spielen zu können. Ohne Zuschauer jedoch, nicht einmal die Dienerschaft sollte beim Souper im Geiste eines Louis Quatorze zugegen sein. Eigens deshalb konstruierte Hofmechaniker Loriot das berühmte Tischleindeckdich, das noch heute die Touristen entzückt: ein versenkbarer Tisch, der fertig gedeckt wie von Geisterhand in die königlichen Gemächer gehoben wurde. Überaus entzückend gerieten auch zwei Orte der Zerstreuung: eine künstliche Tropfsteinhöhle, deren Eingeweide aus Stahl und Beton gut kaschiert wurden, sowie eine Grotte nach dem Vorbild Capris, für deren Illuminierung gleich nebenan eins der ersten bayrischen Elektrizitätswerke gebaut wurde. Für die täuschend echte Wirkung seiner Vergangenheitskulisse nutzte Ludwig die seinerzeit modernste Technik.

    Gleich nach Fertigstellung von Schloss Linderhof stürzte sich der rastlose Bauherr und König auf das nächste Vorhaben. Er schien das Interesse an einem Projekt zu verlieren, sobald es abgeschlossen war, fiel Beobachtern recht bald auf. Schloss Herrenchiemsee im bayrischen Alpenvorland, auf einer Insel im Chiemsee gelegen und gebaut nach dem Vorbild Versailles, der Prachtresidenz des französischen Absolutismus. In einer Szene des opulenten Ludwig-Films des Italieners Luchino Visconti aus dem Jahr 1972 besucht Romy Schneider als Elisabeth von Österreich (im Unterschied zu ihrer Jugendrolle als Sisi gänzlich unverkitscht und für Figur wie Darstellerin eine filmischeWiedergutmachung) ihren Cousin in dessen kürzlich fertiggestelltem Inseldomizil. Beim anfangs staunenden Durchschreiten der Spiegelgalerie entfährt ihr ein enthemmtes Lachen, denn eben als lächerlich empfindet sie die baulichen Kapriolen Ludwigs. Zentrum des Schlosses ist eigentlich aber das Paradeschlafzimmer, dem Vorbild des Chambre de Parade Ludwigs XIV . in Versailles in nichts nachstehend.

    Das größte und berühmteste Projekt des vermeintlichen Märchenkönigs aber war Schloss Neuschwanstein, nur sollte es zeit seines Lebens auch Projekt bleiben. Hier kamen nicht wie in Linderhof und Herrenchiemsee Barock oder Rokoko zum Zug, auch

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