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Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte

Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte

Titel: Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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Orakelsprüche vorzulesen.
    Die hoch oben gelegene Terrasse mit dem Panorama-Ausblick hat sich zudem im japanischen Sprachgebrauch verewigt: Umgeben von 139 massiven Säulen aus Holz kann man in die Tiefe sehen und versteht sofort, wieso die japanische Redewendung die Terrasse des Kiyomizu hinunterspringen bedeutet, einen sehr mutigen Entschluss zu fassen. Dem Volksglauben nach wurde dem Mutigen, der diesen Sprung in dreizehn Meter Tiefe vollführte, die Erfüllung aller seiner Wünsche zuteil. Die Mehrzahl der Springer seit dem 17 . Jahrhundert soll den Sprung einigermaßen wohlbehalten überlebt haben, schon weil das Terrain unterhalb dicht bewachsen ist. Was aus ihren Wünschen wurde,ist im Einzelnen allerdings nicht überliefert. Und heute ist der Sprung aus Sicherheitsgründen ohnehin nicht mehr gestattet – Tradition hin oder her.

SCHLOSS NEUSCHWANSTEIN, BAYERN/DEUTSCHLAND

    Durch die Geschichte zeigt die Menschheit großen Bedarf an Märchenprinzen und -prinzessinnen. Veranlassung gibt es dafür genug: träumerische Sehnsucht, prachtvolle Unterhaltung, Stellvertreter eigener Wünsche, märchenhafte Abwechslung zum schnöden Alltag und einiges andere mehr. Zwar sind in der modernen Welt die blaublütigen Sprösslinge zugunsten von Stars und Sternchen, von Schauspielern, Mannequins und Popidolen einigermaßen entlastet. Aber selbst abwegige Mitteilungen über sie finden auch ohne größeren Nachrichtenwert Eingang in Hochglanzmagazine, die von wartenden Kunden in Frisiersalons weltweit begierig aufgesogen werden.
    Wie wirkliche Märchenfiguren sind solche Prinzen und Prinzessinnen unsterblich, weil ihre Geschichten landauf, landabweiterverbreitet werden. Insofern ist die englische Prinzessin Diana auch Jahrzehnte nach ihrem Tod für die Nachwelt so lebendig wie Ausdauererzählerin Scheherazade aus Tausendundeine Nacht . Gleiches gilt für jung verstorbene Filmstars wie Marilyn Monroe oder James Dean, deren makelloses Antlitz auf Leinwänden und Bildschirmen weiterhin zu sehen ist. Andere Märchengestalten leben in ihren Bauwerken weiter, allen voran König Ludwig II . von Bayern, dem seine Heimat bis heute alljährlich beachtliche Einnahmen der Tourismusbranche verdankt: Seine Märchenschlösser sind neben dem Münchner Oktoberfest die Touristenmagnete des süddeutschen Freistaates schlechthin. Und wenn irgendwo in Deutschland vom »Märchenkönig« die Rede ist, weiß jedermann sofort, dass Ludwig II . von Bayern gemeint ist, dessen Leben allerdings zutreffender als tragisch zu bezeichnen ist und gänzlich unmärchenhaft, nämlich elendig zu Ende ging.
    So attraktiv die Geschichten von Idolen auch im Allgemeinen präsentiert werden: Die meisten von ihnen hatten kein so märchenhaft glückliches Leben. Die Monroe litt trotz ihres Erfolgs zeitlebens massiv an Minderwertigkeitsgefühlen und an ihrer unglücklichen Kindheit, Diana Windsor an der mangelnden Liebe des Thronprinzen und der bleiernen Starre am englischen Hof. Ludwig II . von Bayern litt unter den damaligen politischen Entwicklungen in Deutschland und an dem Gefühl, in der falschen Zeit geboren zu sein. In einem Brief an den Komponisten Richard Wagner schrieb er einmal von der »im Ganzen ungeliebten Jetztzeit«. Auch seine unmäßige Bautätigkeit, die seine Minister an den Rand der Verzweiflung und in deren Augen den Staat an den Rand des Ruins brachte, machte ihn letztlich nicht glücklich. Er blieb gefangen in einem goldenen Käfig, mochte er den auch immerhin nach eigenen Vorstellungen gestaltet haben.

    In ihrer erstaunlichen Zählebigkeit sind die Geschichten von Märchenprinzen und -prinzessinnen dem Historiker ein ständiges Ärgernis. Das wird noch durch sichtbare Hinterlassenschaften verstärkt, wenn sie sich im Sinne der verbreiteten Mär verstehen lassen und sogar als schlagender Beweis dafür angeführt werden. Im Falle Ludwigs II . von Bayern sind dies seine Schlösser. Sie suggerieren, Ludwig habe kein Interesse am Regieren gehabt und für seine notorische Bauwut das Königsein Königsein sein lassen.
    Allerdings wird im Falle Ludwigs erst andersherum ein Schuh draus: Das manische Bauen war zwar eine schon im kleinen Prinzen früh angelegte Leidenschaft, entwickelte sich aber erst als Kompensation auf die frustrierende Erfahrung, nicht so regieren zu können, wie er es sich vorstellte, zu jener exaltierten Form. Zum einen ließen sich – nicht anders erging es auch anderen deutschen Herrschern seiner Zeit – Ludwigs mitunter

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