Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte
Interesse am verstorbenen König – und weniger der Architektur wegen.
Diese Neugier wurde in der Folge weidlich gefördert und genutzt: Ob Wittelsbacher oder das Weimarer Bayern, ob Nationalsozialisten oder Nachkriegsfreistaat – stets wurde das bauliche Erbe so dargeboten, wie es dem eigenen Vorteil am ehesten zugutekam. Heute ist Neuschwanstein, das strahlend weiße, urdeutsch romantische Burgschloss vor Alpenpanorama, allerbeste Werbung für Bayern, das seine Gegensätze als Vielfalt bewirbt: modern, aber traditions- und naturverbunden mit einer ebenso modernen wie liebenswerten Metropole, ein vorbild-licher Hightechstaat mit glücklichen Kühen und prachtvollen Märchenschlössern. Bereits 1954 nutzte das US-Magazin Life das bayrische Schloss Neuschwanstein als Motiv für das Cover einer Titelgeschichte über das deutsche Wirtschaftswunder: »Germany – A Giant Awakened«.
Wirkmächtig sind die Legenden bis heute, sei es in Form falscher Ansichten über Ludwig, sei es in Form einträglicher Verwertungen. Insbesondere eines der Porträts des hübschen königlichen Jünglings verkauft sich weiterhin bestens, mehrfach wurde Ludwigs Biographie zum Filmsujet, und auch im Musical fand der bayrische »Kini« seinen Platz. Als größter Publikumsrenner bis heute aber erwies sich alsbald Neuschwanstein, neben dem Berliner Brandenburger Tor das wohl weltweit bekannteste deutsche Bauwerk, das derzeit alljährlich rund 1 , 3 Millionen Besucher anlockt. Ein Albtraum für den Märchenkönig.
FREIHEITSSTATUE, NEW YORK/USA
Gebt mir die Müden und die Armen,
Eure gekauerten Massen, die frei zu atmen begehren,
Die Verworfenen eurer drangvollen Küsten;
Schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen,
Ihnen erheb ich mein Licht am goldnen Tore!
Mit diesen poetischen Worten am Fuße der New Yorker Freiheitsstatue nahmen die Vereinigten Staaten ihre Einwanderer in Empfang – über zehn Millionen sollen auf dem Weg zum zentralen Aufnahmelager auf Ellis Island die große Dame mit Faltenwurf und Fackel passiert haben. Jahrzehntelang strebten Einwanderungswillige fast ausschließlich über die quirlige Metropole an der Ostküste der USA in jenes Land, das für viele nichts weniger war als das gelobte. Doch die hehren Worte haben viel Spott geerntet seither, denn die Vereinigten Staaten mochten für viele Millionen eine rettende Zuflucht sein, jedoch beileibe nicht für alle, die Einlass begehrten. Hinzu kommt der Verdrängungskampf der seit der ersten Landung der sogenannten pilgrim fathers im Jahr 1607 immer weiter von Ost nach West vorgeschobenen Besiedlungsgrenze, der frontier . Er bedeutete die Auslöschung der Indianerkultur und fast das völlige Ende für die Ureinwohner des nordamerikanischen Halbkontinents. Irdische Paradiese haben stets die Eigenschaft, unvollkommen zu sein, und das Wort »frei« in Namen und Inschrift der kolossalen Statue galt nicht für jedermann.
Die Geschichte der Menschheit auf dem Planeten Erde wurde immer wieder von Wanderungsbewegungen verschiedenster Art geprägt: bedingt durch ein starkes Bevölkerungswachstum oder den Expansionsdrang einer Religion, hervorgerufen von klimatischen Veränderungen oder Umweltkatastrophen, motiviert durch die Anziehungskraft eines Weltreiches, gezwungen durch kriegerischen Verlust der eigenen Heimat oder wirtschaftlichen Druck. Alle Kontinente, alle Kulturen kennen in ihrer unmittelbaren oder mittelbaren Geschichte solche Wanderungsbewegungen, die nicht nur für Unruhe sorgten, sondern ebenso für Begegnung, Austausch und neue Impulse. Auch die Gegenwart ist von solchen Wanderungsbewegungen bestimmt, die allerdings meist erst in der historischen Rückschau wirklich unübersehbar werden. Das reiche Europa aber spürt den Druck von der anderen Seite des Mittelmeeres und versucht, sich dagegen abzusichern. Allerdings wird sich diese Spannung durch Wanderungsbewegungen weltweit eher noch verstärken, sollte in den kommenden Jahrzehnten die Weltgemeinschaft nicht dienotwendigen Maßnahmen gegen den drohenden Klimawandel in Angriff nehmen.
Bevölkerungswachstum, wirtschaftliche Not sowie religiöse und politische Unterdrückung in Europa führten seit der Frühen Neuzeit immer wieder zu Auswanderungswellen aus der Alten Welt, die vom erweiterten Horizont des Westens profitierte: Vorher unbekannte Ecken der Erde boten eine Perspektive für diejenigen Europäer, die ihre Heimat hinter sich lassen wollten. Besondere Anziehungskraft übten die
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