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Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte

Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte

Titel: Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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Japans ein Ende. Die Vereinigten Staaten wollten sich den Handel mit Japan nicht länger entgehen lassen, sie strebten außerdem nach Stützpunkten auf dem Weg in die Walfanggebiete und nach China, schon weil sie ihr Territorium inzwischen bis an die kalifornische Pazifikküste ausgedehnt hatten. Die Vereinigten Staaten erzwangen mit dieser Machtdemonstration nach und nach die Öffnung des Landes, was natürlich viel mehr auslösen musste als nur den freien Handelszugang: In den kommenden Jahrzehnten erfuhr Japan eine stürmische Verwandlung, weil der Kontakt mit der Welt eine Auseinandersetzung mit Einflüssen, Ideen und Anregungen in Gang setzte. Und das umso mehr, als das Shogunat der Tokugawa-Dynastie sich verbraucht hatte und das Land neue Impulse dringend benötigte. Gleichzeitig existierten beträchtliche Bedenken sowie Angst und Widerstand, insbesondere im alten Kyoto.
    Die Machtverhältnisse verschoben sich wieder zugunsten der Kaiser. Der jahrhundertelang ins Abseits gedrängte Tenno verbuchte mit einem Mal einen Autoritätszuwachs, den nunmehr die ohnehin geschwächten Shogune akzeptieren mussten. Nach einem kurzen Bürgerkrieg verfügte der Kaiser wieder über die Macht im Land – übte sie aber nicht mehr von Kyoto, sondern von Edo/Tokio aus. Das hatte handfeste Folgen für die alte Kaiserstadt – nicht nur für ihr Prestige, sondern auch wirtschaftlich und kulturell. Überall in der Welt sorgten fürstliche Höfe für Aufträge aller Art und ernährten die ansässige Bevölkerung, machten sie aber auch vom Hof abhängig. Wenn diese nährende Wurzel gekappt wurde, hatte das umgehend Folgen für eine Stadt.
    Nach kurzer Schockstarre durch die plötzlich hereinbrechenden Veränderungen setzte Kyoto – wie das ganze Land – auf Modernisierung statt auf Tradition, als wolle sich die alte Kaiserstadt gegen die neue Hauptstadt Tokio nicht geschlagen geben. Und auf lange Sicht konnte sie sich erfolgreich als das Herz Japans behaupten.

    Seither hat sich Japan in Windeseile zum Industriestaat und – nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und den Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki – zu einer Wirtschaftsmacht westlicher Prägung gewandelt. Als Zielort der Bombe hatten US -Strategen auch Kyoto im Auge gehabt, aber die Tatsache, dass der amerikanische Kriegsminister die alte Kaiserstadt einmal besucht hatte, rettete sie vor dem grausigen Untergang.
    Die rasante Entwicklung Japans zum Industriestaat nach westlichem Vorbild ist an Kyoto keineswegs vorbeigegangen. Die Verbindung der Annehmlichkeiten einer hochmodernen Stadt, die Nintendo-Spiele in alle Welt verkauft, und der kulturellen Vitalität einer Bildungsmetropole mit altjapanischer Tradition und der Wertschätzung der Natur sorgt vielmehr dafür, dass Kyoto weder seine große Vergangenheit vergisst, noch zur puppenhaften Museumsstadt erstarrt. Gleichwohl ist der Fremdenverkehr die wichtigste Einnahmequelle der Stadt geworden.

    Unter den Anlaufpunkten für Touristen, die sich auf die Suche nach Altem begeben, steht der Tempel Kiyomizu-dera auf der Besuchsliste noch immer ganz oben. Insbesondere in den Farben des japanischen Altweibersommers bietet sich dem Besucher ein farbenprächtiger und ungeheuer eindrucksvoller Anblick. Der Blick von dort ist atemberaubend, die Umgebung malerisch.
    Die großzügig bemessene Terrasse von Kiyomizu-dera an einem Steilhang hoch über der Stadt ruht wie das Hauptgebäude selbst auf einer beeindruckenden Holzkonstruktion. Nicht minder beeindruckend ist die dreistöckige, hoch aufragende Pagode. Innerhalb des Tempelgeländes stürzt ein Wasserfall ins Tal hinab, der der Anlage ihren Namen gab.
    Der Tempel ist keineswegs nur ein Museum, sondern auch als religiöse Stätte weiterhin in Gebrauch. Einer der Tempel-Schreine verspricht Liebesglück, was auch unheilbar modernen Menschen häufig noch ein paar abergläubische Handlungen abringen kann. Zwei achtzehn Meter voneinander entfernte »Liebessteine« müssen blind, aber zielsicher abgeschritten werden, um den Liebesgott positiv zu stimmen. Und die wundersamen Heilkräfte der Quelle zu testen ist eine nicht minder beliebte Weiterführung der alten Traditionen. Ein anderer Schrein ist dem Gott Jizo gewidmet, eine Art Schutzheiliger der Touristen, die denn auch in großer Zahl den Tempel besuchen. Weitere häufige Besucher sind schnatternde Schulmädchen, die in ihren Uniformen kichernd durch die Räume und den Garten trippeln, um sich gegenseitig soeben erworbene

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