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Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte

Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte

Titel: Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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fehlt aber nicht: Bezüglich Stromversorgung, Heizung, Küchenausstattung und anderen Details bis zu damals noch neuartigen Wasserklosetts befand sich der Bau ganz auf der Höhe des 19 . Jahrhunderts. Das äußerlich gewaltig wirkende Burgschloss wurde recht konventionell aus Backstein errichtet und hernach mit stimmigerem Material verkleidet. Das geplante Bad des Königs kam allerdings nicht mehr zur Ausführung, auch nicht der Bergfried und ein Burggarten unterhalb des Thronsaals. Das Jahr 1886 sah im Wesentlichen nur Torbau und Palas fertiggestellt, ansonsten war Neuschwanstein noch eine Baustelle. Die Kemenate besaß einstweilen nur ein Fundament, Viereckturm und Ritterhaus befanden sich im Bau. Vollendet wurden sie bis Anfang der 1890 er-Jahre, wenn auch in abgespeckter Form.

    Ludwigs Bauwut, deren immense Kosten er aus seinem Privatvermögen zu begleichen hatte, wurde immer teurer. Er verschuldete sich wie ein Spieler, der nicht von den Karten lassen kann. Familie und Minister musste das fatal an seinen Großvater Ludwig I . erinnern, dessen wachsende Schulden Jahrzehnte zuvor schon einmal eine Staatskrise heraufbeschworen hatten. Eine Weile noch halfen die geheimen preußischen Zahlungen aus dem sogenannten Welfenfonds – Konkursmasse des zerschlagenen Königreichs Hannover. Das war der Dank des nunmehrigen deutschen Reichskanzlers Bismarck, der Ludwig 1870 zum Kaiserbrief bewegt hatte: die bayrische Zustimmung zur deutschen Reichsgründung und zum Aufstieg des preußischen Königs Wilhelm I ., mit dem Ludwig mütterlicherseits verwandt war, zum deutschen Kaiser. Aber schließlich wurde das Geld so knapp, dass es fortan bei den Planungen blieb: Weitere Ausbauten in Linderhof, eine gotische Raubritterburg bei Pfronten sowie ein chinesisches Schloss am Plansee kamen nicht mehr zur Ausführung.

    Das tragische Schlusskapitel im kurzen Leben des Märchenprinzen begann eben im entlegenen Neuschwanstein, wo der König 1886 Wohnung nahm, während es im geschäftigen München gehörig rumorte. Das Itinerar des Königs verzeichnet übrigensim Ganzen nur 172 Tage Aufenthalt dort. In der bayrischen Hauptstadt sah man sich gezwungen, wegen der immensen Verschuldung des Königs und wegen seiner Praxis, dienstverpflichteten Soldaten sexuelle Gefälligkeiten abzuverlangen, Maßnahmen zu ergreifen. Der Staatsstreich wurde gut vorbereitet: Der angesehene Psychiater von Gudden erstellte, allerdings ohne den Patienten je untersucht zu haben, ein Gutachten, das Absetzung und Entmündigung des Königs ermöglichte. Das Vorhaben sickerte Ende Mai an die Presse durch und wurde eilends dementiert. Gleichwohl erreichte am 9 . Juni nachts um ein Uhr, als Ludwig gerade ausfahren wollte, eine Regierungsdelegation Neuschwanstein. Ein getreuer Lakai alarmierte den König über das Vorhaben der hohen Herren, Ludwig ins Schloss Berg am Starnberger See bringen zu lassen. Die Delegation wurde mit scharfer Munition empfangen, festgesetzt und schließlich nach München zurückgeschickt. In die Enge getrieben, wollte Ludwig weder dem Rat folgen, sich in München seinem Volk zu zeigen, um das Unheil noch abzuwenden, noch ins benachbarte Österreich fliehen. Eher mag er Selbstmord im Sinn gehabt haben. Die Münchner Delegation erreichte aber beim zweiten Anlauf ihr Ziel, nahm den König in seinem prunkvollen Schlafzimmer fest und brachte ihn nach Berg, wo er unter Hausarrest gesetzt wurde, wenige Tage später in den Starnberger See lief und dort ertrank, desgleichen sein Arzt von Gudden.

    Bereits sieben Wochen nach Ludwigs tragischem Tod im Starnberger See 1886 wurden seine Schlösser der Allgemeinheit zugänglich gemacht. Zuvor hatten sich bayrische Landtagsabgeordnete in Herrenchiemsee persönlich davon überzeugt, dass nur ein Geistesgestörter derartigen Prunk versammeln konnte – was sie sahen, mag das schlechte Gewissen angesichts der tragischen Ereignisse entlastet haben. Nicht nur dieser, sondern allder nachfolgende millionenfache Besuch wäre König Ludwig vermutlich ein Gräuel gewesen, widersprach er doch seiner Auffassung der »geweihten Stätten«. Aber was hätte der Staat mit dem baulichen Nachlass des Königs anderes machen sollen, wo sich doch wohl kaum andere Verwendung dafür finden ließ? Zumal das vorzeitige Ableben aus dem König ohne politische und private Fortüne in Windeseile eine Legende machte, der selbst das von ihm verschmähte München schon bald anhing. Das Volk fuhr in steigender Zahl in Ludwigs Schlösser aus

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