Die Neunte Gewalt
dann dem feuchten Gras. Bevor sie es richtig mitbekamen, hatten sie schon dreißig Meter zurückgelegt.
Die Angst trieb den Jungen voran, und er erreichte den Jeep, als Hedda noch auf dem Bauch kroch. Sie schloß zu ihm auf, schob ihn unter die Deckung der vorderen Stoßstange und glitt dann zur Fahrerseite hinüber. Es war derselbe Jeep, der an diesem Nachmittag auf das Gelände gefahren war, unmittelbar bevor sie ihren Plan in die Wirklichkeit umsetzen wollte. Der Lauf des aufmontierten Maschinengewehrs hing nach unten, schlank und selbst aus dieser geringen Entfernung in der Dunkelheit kaum auszumachen. Den Wagen selbst als Deckung ausnutzend, rutschte Hedda auf den Fahrersitz und kauerte sich vor dem Armaturenbrett nieder.
Der Schlüssel steckte. Blitzschnell rechnete Hedda aus, wie lange es dauern würde, um den Motor anzulassen, den Gang einzulegen und durch das Tor zu brechen. Ein gewisses Risiko blieb, doch es war beträchtlich geringer als beim Versuch, zu Fuß aus der Residenz zu fliehen.
»Jetzt!« krächzte sie und hörte augenblicklich, wie der Junge über die Pflastersteine kroch.
Sie half ihm auf den Beifahrersitz und bedeutete ihm, unten zu bleiben, sich so tief zu ducken, wie er konnte.
»Dann durchsucht es noch mal!«
Die Worte drangen durch den offenen Eingang in die heilige Residenz. Die Besatzung des Jeeps kehrte zurück! Kein Wunder, daß das Tor nach ihrer Ankunft nicht wieder geschlossen worden war.
Hedda drehte augenblicklich den Schlüssel und drückte fast mit derselben Bewegung das Gaspedal durch. Der Jeep machte einen Satz, und die Reifen wirbelten Steine auf. Sie riß das Lenkrad nach links und raste über den Rasen dem Tor entgegen.
Schreie und Schüsse folgten jedem Lenkmanöver, doch die Kugeln kamen erst bedrohlich nahe, als der Jeep das Tor erreicht hatte.
»Unten bleiben!« befahl Hedda dem Jungen.
Einer der Wachtposten rannte von links auf sie zu, und Hedda schoß ihm ins Gesicht. Der zweite Palästinenser sprang direkt vor sie und das Tor. Gelbe Flammen schlugen aus dem Lauf seiner Maschinenpistole, doch die stakkatohaften Salven wurden von dem aufjaulenden Motor des Jeeps übertönt. Hedda duckte sich, um den Glassplittern zu entgehen, als die Windschutzscheibe unter dem Sperrfeuer nach innen explodierte. Sie hielt zwar noch die Maschinenpistole in der Hand, doch der Jeep selbst war eine wesentlich wirksamere Waffe.
Sie zuckte zusammen, als die Stoßstange den Palästinenser mit einem lauten Knall traf. Der Mann wurde unter den Jeep gezogen und mit einem dumpfen Poltern von einem der Hinterreifen überrollt.
Die Wachen auf dem Hof schickten ihnen Kugeln hinterher, doch es war zu spät. Sie kannte diese Straßen gut; es hatte zur Vorbereitung dieser Mission gehört, sie sich genau einzuprägen. Hedda hatte den am nächsten befindlichen Wagen auf der Javinta-Straße geparkt, auf der auch zu dieser späten Stunde genug Verkehr herrschte, um ausreichend Deckung zu bekommen. Sie atmete nun etwas leichter. Diese Mission näherte sich dem Ende. Die restliche Fluchtstrecke hatte sie bereits ausgearbeitet. Von hier an war alles Routine.
Sie bog nach links und dann nach rechts ab. Ein kurzes Stück eine Einbahnstraße entlang, und sie hatte die Javinta-Straße erreicht. Direkt hinter dem Stoppschild vor ihr wartete der Fluchtwagen. Hedda fuhr langsamer, um mit dem normalen Verkehr zu verschmelzen. Noch während sie in der Dunkelheit nach dem beruhigenden Anblick des Fluchtwagens suchte, überlegte sie, wo sie den Jeep stehenlassen konnte. Direkt hinter dem Stoppschild, direkt …
Das harte Beschleunigen eines Motors ließ sie herumwirbeln. Vom anderen Ende der Javinta-Straße kam ein Jeep herangerast. Seine Besatzung schoß aus der offenen Kabine. Die wenigen Fußgänger auf der Straße stoben auseinander und warfen sich in Deckung. Kugeln schlugen in das Stahlgerüst ihres Fahrzeugs. Diesmal mußte sie Christopher nicht extra sagen, sich zu ducken. Hedda glitt neben ihn hinter das Armaturenbrett und erwiderte das Feuer mit ihrer Maschinenpistole. Der verfolgende Jeep kam schlitternd zum Stehen, unwillig, in den kurzen Hagel ihrer Kugeln zu preschen. Dazu bestand auch nicht der geringste Grund. Die Verfolger hatten sie eingeholt, und sie befanden sich in der Überzahl und waren besser bewaffnet. Außer …
Heddas Blick fiel auf das Maschinengewehr, das auf der Ladefläche des Jeeps festgeschraubt war. Sie zog sich über den Sitz und richtete das Gewehr auf, entsicherte
Weitere Kostenlose Bücher