Die Neunte Gewalt
es, schob einen Munitionsstreifen ein und stand trotzig da, während ein Kugelhagel die Luft um sie herum zerfetzte.
Sie bekam noch mit, daß Christopher ihr etwas zurief; dann setzte auch schon das laute Rat-tat-tat ein. Es dröhnte in ihren Ohren, und das Gewehr ruckte in ihren Händen. Die Salven schlugen in die Seite des feindlichen Jeeps ein und mähten die Männer nieder.
Doch dann sah Hedda zu ihrem Entsetzen zwei weitere Jeeps, die mit kreischenden Reifen die Javinta-Straße entlangrasten und der Route des Wagens folgten, den Hedda soeben zerstört hatte. Hedda erfaßte das Ziel, wußte jedoch, daß sie sich wieder im Nachteil befand.
»Ich kann fahren«, rief Christopher aus seiner Deckung zu ihr hinauf.
»Was?«
»Mein Vater hat es mir beigebracht. Ich kann …«
»Dann fahr!« rief sie in dem Augenblick, als die Schützen auf den beiden neuen Jeeps ihr Ziel in der Nacht gefunden zu haben schienen.
Christopher glitt auf den Fahrersitz und trat auf das Gaspedal. Er war kaum groß genug, um durch die Überreste der Windschutzscheibe sehen zu können. Hedda spürte, wie der Jeep einen Satz machte, kurz zur Seite ausbrach und dann gerade weiterfuhr. Die verfolgenden Wagen kamen in Schußweite. Hedda eröffnete das Feuer, als der Jeep ruckend an Geschwindigkeit gewann.
Der Fahrer des zweiten verfolgenden Jeeps verlor die Kontrolle über sein Fahrzeug. Der des dritten wich dem schlingernden Wagen geschickt aus und raste weiter. Ein Zwillingsbruder von Heddas Maschinengewehr erwiderte das Feuer, während Christopher durch Beiruts Straßen preschte, ohne auf Ampeln oder Fußgänger zu achten. Er mußte nicht auf die Hupe drücken; das Maschinengewehrfeuer war Warnung genug. Im gleichen Maß, wie sein Selbstvertrauen wuchs, fuhr er immer besser und schneller. Plötzlich befürchtete Hedda, eine Vollbremsung oder eine scharfe Kurve könne sie vom Wagen schleudern.
Hedda sah, daß ihr Munitionsstreifen fast leergeschossen war. Sie durchsuchte schnell die Ladefläche des Jeeps, fand jedoch kein Ersatzmagazin. Sie hatte höchstens noch vierzig Schuß übrig und feuerte nun viel kürzere Salven, um ihre Verfolger in gebührendem Abstand zu halten.
In gebührendem Abstand … ja, das war es!
Sie ließ das Maschinengewehr fallen und griff nach ihrer Maschinenpistole, die noch auf dem Beifahrersitz lag. Dann packte sie mit einer ihrer starken Hände zwischen die des Jungen und ergriff das Lenkrad.
»Festhalten«, befahl sie. »Es gibt gleich einen netten Zusammenstoß.«
»Was …«
Doch Hedda hatte den Jeep schon zur Seite gerissen; er streifte einen geparkten Lastwagen. Christopher wurde in seinem Sitz hochgeworfen, und Hedda prallte gegen den Stahlrahmen der Windschutzscheibe. Der Atem wurde ihr aus den Lungen getrieben, doch sie eröffnete dennoch ein anscheinend verzweifeltes Feuer mit ihrer Maschinenpistole, die noch an ihrer Schulter baumelte, während der letzte Jeep zuversichtlich Kurs auf sie hielt.
Als er nur noch dreißig Meter entfernt war, machte sie einen Satz hinter das große Maschinengewehr. Ihre Hand fand den Abzug und drückte ihn mit derselben Bewegung. Die restlichen Kugeln im Magazin schlugen in den Motor, durchdrangen ihn und zerfetzten den Bug des verfolgenden Jeeps. Flammen schossen aus der Motorhaube. Sie sah, wie er kurz schlitterte, bevor er sich überschlug und an ihnen vorbei die Straße entlangrutschte. Der Stahl schlug Funken, und Augenblicke später ertönte ein ohrenbetäubender Knall. Ein gewaltiger Feuerball verschlang den Jeep. Die letzte Explosion erfolgte, bevor das Wrack irgendwo aufprallte. Zerfetzte Stahlteile schossen durch die Luft, und Hedda warf sich über den Jungen, um ihn mit dem Körper abzuschirmen.
»Und jetzt bringen wir dich nach Hause«, sagte sie zu Christopher.
Sie ließen den Jeep liegen und gingen zu Fuß zum nächsten Fluchtwagen weiter, mit dem sie quer durch die Stadt zu einem kleinen Restaurant fuhren, von dem Hedda wußte, daß es über einen Münzfernsprecher verfügte. Christopher blieb die ganze Zeit neben ihr, und beide zogen sie die Blicke der verwirrten Gäste auf sich.
»Station sechzehn.«
»Hier ist Hedda. Wiedererlangung abgeschlossen. Erbitte Abholung.«
»Position?«
Sie nannte sie.
»Die Brücke über den Fluß Litani im Bekaa-Tal. Vierzig Kilometer östlich von Ihnen.«
»Ich kenne das Tal. Librarian wird dort sein.«
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Der Junge plapperte den Großteil der Fahrt nervös vor sich hin.
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