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Die Neunte Gewalt

Titel: Die Neunte Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Land
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aufgehalten, die sie ihm gegeben hatte. Sie sprang zu ihm und stieß ihn zurück, versuchte, ihn mit ihrem Körper abzuschirmen. Weitere Einschüsse überschütteten sie mit Splittern der uralten Holzbrücke. Eine Kugel streifte sie an der Schulter und riß sie vom Jungen fort. Sie sprang zu ihm, als eine Kugel seinen Schenkel traf und sie mit Blut bespritzte. Sie hörte, daß der Junge aufschrie und dann stöhnte.
    Hedda griff nach Christopher, hielt ihn fest und brach mit ihm durch das Geländer in die Dunkelheit. Kugeln pfiffen ihnen um die Ohren, bis das kalte Wasser des Litani sie umschloß.
    »Ich glaube, wir haben sie erwischt, Sir«, meldete der Mann einer Gestalt, die im Wagen saß.
    Librarian hatte den Rücksitz der mittleren Limousine während des Hinterhalts nicht verlassen, nicht einmal, als seine Männer später auf die Brücke schwärmten, um nach treibenden Leichen Ausschau zu halten. Nun schob er etwas, das wie ein Adapter mit drei Steckern aussah, in die hautfarbene Buchse, die direkt unter dem Adamsapfel aus seiner Kehle ragte. Als er sprach, drang seine mechanisch erzeugte Stimme aus einem Lautsprecher, der auf seinem Schoß lag.
    »Habt ihr … eine Leiche gefunden?« Die Stimme war ein nasses Gurgeln; sie klang, als würde jemand mit einem Mund voll Wasser sprechen, das dabei seltsamerweise nicht hinauslief.
    »Noch nicht, Sir.«
    »Dann habt ihr sie … nicht erwischt.«
    »Wir haben Blut gefunden, Sir.«
    »Aber nicht … genug.«
    »Ich kann die Männer zum Flußufer schicken.«
    »Das ändert … nichts daran.«
    »Wenn Sie erlaubt hätten, daß wir Männer auf beiden Seiten der Brücke postieren …«
    »Auf einer Seite hätte … genügen müssen, Sturges.«
    Sturges schien Einwände vorbringen zu wollen, überlegte es sich dann jedoch anders und kehrte zur Brücke zurück. Librarian sah ihm mit einem leisen Lächeln nach, das ganz kurz seine Lippen umspielte, und mit einem kaum wahrnehmbaren Seufzen, das aus dem Lautsprecher drang.

6
    Mitternacht war vorbei, als Kimberlain den Wagen in eine Parklücke in der Nähe des Sunnyside Railroad Yard lenkte, einem Friedhof für ausgediente Eisenbahnwaggons direkt neben dem Tunnel unter dem Hudson, der zur Penn Station in Manhattan führte. Seine erste Aufgabe bestand darin, herauszufinden, wie die Flucht aus dem MAX-SEC durchgezogen worden war. Nur ein Mensch, den er kannte, konnte ihm helfen, dieses Rätsel zu lösen, und Kimberlain näherte sich gerade seinem Zuhause.
    Er sprang leichtfüßig über die toten Gleise, als führte vielleicht eins hindurch, das noch benutzt wurde. Die grauen und braunen Stahlkadaver der Personenwaggons von Amtrak und New Jersey Transit standen auf gut zweihundert Metern aneinandergereiht, und die einzelnen Gleise lagen so eng nebeneinander, daß Kimberlain kaum zwischen ihnen hindurchpaßte. Die beiden verrosteten braunen Waggons, auf die er zuhielt, hatten zu ihren Lebzeiten Güter und keine Personen befördert. Sie standen etwas abseits auf einer Seite, ein Stück von den benachbarten Gleisen mit Amtrak-Waggons entfernt, die noch relativ neu zu sein schienen.
    »Wer klopft denn da?« sagte er leise in einen schmalen Schlitz, der auf Augenhöhe in die Seite eines der verrosteten Waggons geschnitten worden war. Die hintere Tür des Waggons öffnete sich mit dem vertrauten Zischen einer Hydraulik.
    »Wird auch Zeit, verdammich«, sagte Captain Seven.
    Natürlich war Seven nicht sein echter Name, und Kimberlain hätte gar nicht sagen können, wie er wirklich hieß. Er kannte ihn nur als ausgeflippten Techno-Freak, der sich in Vietnam als brillanter Sprößling des siebenten Planeten eines anderen Sonnensystems ausgegeben hatte. Captain war auch nicht sein wirklicher Rang, doch es klang ganz nett, wenn man das ›Seven‹ dahinter setzte. Er schien niemals zu seiner eigenen Identität zurückkehren zu wollen, und Kimberlain bedrängte ihn niemals mit Fragen darüber.
    »Was soll der Scheiß?« sagte Seven, als die Tür sich zischend wieder hinter ihnen geschlossen hatte. »Du wolltest schon vor 'ner Stunde hier sein. Ich hab' auf dich gewartet, Mann, ich hab' gewartet …«
    Das Haar des Captains fiel ihm – schon seit Kimberlain ihn kannte – wild und ungekämmt bis auf die Schultern hinab. Der einzige Unterschied lag darin, daß in letzter Zeit einige Locken grau wurden. Er trug abgeschnittene Jeans, die seine dünnen, knochigen Beine freiließen, und eine Lederweste über einem schwarzen

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