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Die Neunte Gewalt

Titel: Die Neunte Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Land
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Lauren.«
    »Dann versuchen Sie mal, sich darauf einen Reim zu machen: Donald Dwares, der Mann, den Sie gestern getötet haben, starb vor fünf Jahren in Florida auf dem elektrischen Stuhl.«

14
    Erst am frühen Montag morgen erreichte Hedda endlich die Adresse, die der sterbende Deerslayer in seinem blutigen Badezimmer hingekritzelt hatte. Nach der Explosion im Tunnel hatte sie für eine Weile das Bewußtsein verloren, und als sie wieder zu sich kam, konnte sie auf dem einen Ohr nichts mehr hören, während es im anderen beharrlich klingelte. Doch die Nische hatte Hedda genug Schutz geboten, um ihr das Leben zu retten, und nachdem sie sich eine Zeitlang durch die Dunkelheit getastet hatte, hatte sie einen Weg in den Keller eines anderen Gebäudes gefunden. Sie hatte von einer Wäscheleine neue Kleidung gestohlen und sich an einem öffentlichen Brunnen so gut wie möglich gesäubert.
    Das Wohnhaus an der Rue Plummet überblickte den Bois de Vincennes und stellte einen starken Kontrast zu dem Haus dar, in dem Deerslayer am Abend zuvor gestorben war. Es war ein prachtvolles Backsteingebäude mit sechs Stockwerken. Hier kam sie nicht so einfach herein; sie mußte warten, bis der Pförtner abgelenkt war.
    Nachdem sie zwanzig Minuten lang gewartet hatte, hielt ein Taxi vor dem Haus, und eine Frau mit einem halben Dutzend Einkaufstüten stieg aus. Der Pförtner eilte hinaus, um ihr zu helfen, und Hedda marschierte einfach an seinem verlassenen Pult vorbei durch die Tür.
    Da sie nicht auf den Fahrstuhl warten wollte, lief sie zum Treppenhaus und nahm schnell die Stufen. Apartment 6A befand sich ein gutes Stück den Korridor entlang, und sie schritt wachsam an den anderen Türen vorbei. Keine davon verfügte über einen Spion. Sie erreichte 6A und klopfte zweimal.
    »Wer ist da?« rief eine Stimme hinter der Tür.
    Hedda nannte mit dem leisen, flüsternden Tonfall einer älteren Frau den Namen, den sie auf der benachbarten Tür gelesen hatte. Die spinnwebhaften, altmodischen Buchstaben der Schrift auf dem Schild deuteten zumindest auf eine solche Person hin.
    »Einen Augenblick.«
    Sie vernahm etwas, das wie das Geräusch von Rädern klang, und dann wurden Schlösser entriegelt. Die Tür öffnete sich knarrend.
    »Guten Morgen, Madame …«
    Der Sprecher im Rollstuhl sah sie an, und seine Augen drohten aus den Höhlen zu quellen. Hedda erwiderte den Blick genauso gebannt.
    »Nein«, keuchte der alte Mann im Rollstuhl. »Das ist unmöglich …«
    Er war ihr Großvater!
    »Du bist tot!« krächzte er. »Du bist tot!«
    Eine knochige Hand hob sich in dem Versuch, die Tür zuzuschlagen. Hedda stieß sie mühelos zurück und betrat die Wohnung; der Rollstuhl fuhr über den Teppich zurück. Hedda schloß die Tür und verriegelte sie wieder.
    »Was hast du hier zu suchen?« keuchte der alte Mann ängstlich. »Was willst du?«
    Heddas Hand zitterte, als sie sie vom Riegel nahm. Sie war völlig verwirrt. So oft in angespannten Augenblicken der Vergangenheit hatte sie Zuflucht in den friedlichen Erinnerungen an ihre Jugend gesucht. Der Hof, ihr Großvater – wenn sie daran dachte, kam alles wieder in Ordnung, war sie schnell wieder ausgeglichen. Doch dieser Mann, den sie jetzt anstarrte, das Gesicht rot vor Furcht, konnte unmöglich ihr Großvater sein. Nur ein Zufall, versuchte sie sich einzureden, doch sie spürte, daß es so einfach nicht war.
    »Verschwinde hier«, raunte er, »bevor sie kommen.«
    »Bevor wer kommt?«
    »Sei doch nicht dumm! Sie haben den Wildtöter erwischt, doch irgendwie bist du ihnen entkommen, und jetzt stellst du dein Glück zu sehr auf die Probe.«
    »Du hast Deerslayer gekannt …«
    »Ich habe euch alle gekannt.«
    »Uns alle?«
    »Die Caretakers. Ich habe euch geschaffen, Hedda«, sagte er und sprach zum erstenmal ihren Namen aus. »Ich habe euch alle geschaffen.«
    Hedda schwankte. Sie stützte sich am Türrahmen ab.
    »Wer bist du?« fragte sie kaum hörbar.
    »Wir könnten es dabei belassen, daß ich dein Großvater bin. Das wäre einfacher, angenehmer und unproblematischer.«
    »Aber eine Lüge.«
    »Verstehst du denn nicht? Es gibt keine Wahrheit, hat sie niemals gegeben, nicht für dich oder die anderen.«
    »Wovon sprichst du?«
    Der alte Mann blickte sich um. Das Wohnzimmer war wunderschön mit Antiquitäten eingerichtet; auf dem prachtvollen Orientteppich zeichneten sich die Spuren der letzten Wege des Rollstuhls ab. Die Sonne fiel ungehindert durch ein großes Fenster ein. Hedda

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