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Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen

Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen

Titel: Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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wiederholen, so als versuchte er verzweifelt, zwischen der Frau, die er liebt, und dem wilden Tier, das ihn nun angreift, zu unterscheiden. Er fühlt sich völlig wehrlos, und während er weiter attackiert wird, beginnt er, jeden neuen Hieb als gerechte Strafe für sein Verhalten willkommen zu heißen. Der andere Mann macht dem Ganzen jedoch bald ein Ende. Obwohl Blue versucht ist, ihm einen Schlag zu versetzen, ist er zu überrascht, um schnell genug zu handeln, und ehe er es sich versieht, hat der Mann die weinende ehemalige zukünftige Mrs. Blue schon die Straße hinauf und um die Ecke geführt, und das ist das Ende.
    Diese kurze, so unerwartete und niederschmetternde Szene bringt Blue völlig durcheinander. Als er endlich seine Fassung wiedergewinnt und imstande ist, nach Hause zurückzukehren, erkennt er, dass er sein Leben weggeworfen hat. Es ist nicht ihre Schuld, sagt er sich; er will ihr Vorwürfe machen, aber er weiß, dass er es nicht kann. Sie musste ihn für tot gehalten haben, und wie kann er ihr verübeln, dass sie leben will? Blue spürt, wie ihm die Tränen in die Augen steigen, aber stärker als Kummer empfindet er Zorn auf sich selbst, weil er so ein Narr war. Was immer für eine Chance er hatte, glücklich zu sein, er hat sie vertan, und wenn das der Fall ist, wäre es nicht falsch zu sagen, dass dies wirklich der Anfang vom Ende ist.
    Blue kehrt zurück in sein Zimmer in der Orange Street, legt sich auf sein Bett und versucht, die Möglichkeiten abzuwägen. Schließlich dreht er sich mit dem Gesicht zur Wand, und sein Blick fällt auf die Fotografie des Leichenbeschauers aus Philadelphia, Gold. Er denkt an die traurige Leere des ungelösten Falles, an das Kind, das ohne Namen in seinem Grab liegt, und während er die Totenmaske des kleinen Jungen studiert, beginnt er, eine Idee in seinem Kopf hin und her zu wälzen. Vielleicht gibt es doch einen Weg, näher an Black heranzukommen, ohne dass er sich selbst dabei verraten muss. Gott weiß, es muss ihn geben. Maßnahmen, die ergriffen, Pläne, die ausgeführt werden können – vielleicht zwei oder drei gleichzeitig. Kümmere dich nicht um das Übrige, sagt er sich. Es ist Zeit, die Seite umzublättern.
    Sein nächster Bericht ist übermorgen fällig, und er macht sich daran, um ihn rechtzeitig abschicken zu können. In den letzten Monaten sind seine Berichte äußerst rätselhaft gewesen, nicht mehr als ein oder zwei Absätze lang, das bloße Gerüst und sonst nichts, und diesmal weicht er nicht von dem Schema ab. Unten auf der Seite fügt er jedoch eine dunkle Bemerkung hinzu, als eine Art Test, in der Hoffnung, aus White etwas mehr als Schweigen herauszulocken: Black scheint krank zu sein. Ich fürchte, er könnte sterben. Dann steckt er den Bericht in den Umschlag und sagt sich, dass dies erst der Anfang ist.
    Zwei Tage später eilt Blue früh am Morgen zum Postamt Brooklyn, einem schlossähnlichen Gebäude in der Nähe der Manhattan-Brücke. Alle seine Berichte waren an das Schließfach eintausendeins adressiert, und er geht nun wie zufällig darauf zu, schlendert daran vorbei und wirft einen unauffälligen Blick hinein, um zu sehen, ob der Bericht schon angekommen ist. Er ist da, oder jedenfalls ein Brief ist da – ein einsamer weißer Umschlag, der in einem Winkel von fünfundvierzig Grad in dem engen Kästchen steht –, und Blue hat keinen Grund zu vermuten, dass es ein anderer Brief ist als der seine. Dann beginnt er, langsam im Kreis umherzugehen, entschlossen zu bleiben, bis White oder jemand, der für White arbeitet, erscheint, die Augen auf die riesige Wand von nummerierten Fächern gerichtet, von denen jedes eine andere Kombination hat und ein anderes Geheimnis birgt. Menschen kommen und gehen, öffnen Fächer und schließen sie wieder, und Blue wandert weiter im Kreis herum, bleibt ab und zu an irgendeiner Stelle stehen und geht dann weiter. Alles erscheint ihm braun, so als wäre das Herbstwetter von draußen in den Raum eingedrungen, der angenehm nach Zigarrenrauch riecht. Nach mehreren Stunden wird er hungrig, aber er gibt dem Ruf seines Magens nicht nach, er sagt sich, jetzt oder nie, und deshalb bleibt er auf seinem Posten. Er beobachtet jeden, der auf die Reihen der Schließfächer zugeht, und konzentriert sich auf jeden, der in die Nähe von eintausendeins kommt, denn er ist sich der Tatsache bewusst, dass es, wenn White nicht selbst den Bericht abholt, jeder sein kann – eine alte Frau, ein kleines Kind, und deshalb darf

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