Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen
immer geradeaus vor sich hin und studierte Black, wartete auf eine mögliche Erkenntnis, versuchte durchzuhalten, aber während all dieser Zeit machte er sich keine Gedanken darüber, was hinter ihm vorgehen könnte. Nun, nach dem Zwischenfall mit dem maskierten Mann und den weiteren Hindernissen, die darauf folgten, weiß Blue nicht mehr, was er denken soll. Es erscheint ihm vollkommen glaubhaft, dass er ebenfalls überwacht, von einem anderen beobachtet wird auf dieselbe Weise, wie er Black beobachtet. Wenn das der Fall ist, war er nie frei. Von allem Anfang an war er der Mann in der Mitte, eingeengt von vorn und von hinten. Seltsamerweise erinnert ihn dieser Gedanke an einige Sätze aus Walden , und er sucht in seinem Notizbuch nach dem genauen Wortlaut, denn er ist ziemlich sicher, dass er sie aufgeschrieben hat. Wir sind nicht, wo wir sind, findet er, sondern in einer falschen Lage. Durch eine Schwäche unserer Natur nehmen wir einen Umstand und versetzen uns in diesen, und daher sind wir in zwei Umständen zugleich, und es ist doppelt schwierig herauszukommen. Das leuchtet Blue ein, und obwohl er ein wenig Angst zu verspüren beginnt, denkt er, dass es vielleicht noch nicht zu spät für ihn ist, etwas dagegen zu tun.
Das wirkliche Problem besteht letzten Endes darin, die Natur des Problems selbst zu erkennen. Zunächst, wer stellt die größere Bedrohung für ihn dar, White oder Black? White hat seinen Teil des Vertrages erfüllt: Die Schecks sind jede Woche pünktlich eingetroffen, und sich jetzt gegen ihn zu wenden, denkt Blue, hieße die Hand beißen, die ihn ernährt. Und doch ist White derjenige, der den ganzen Fall in Gang gesetzt hat – er hat Blue sozusagen in ein leeres Zimmer gestoßen und dann das Licht abgedreht und die Tür zugesperrt. Seither tappt Blue im Dunkeln und tastet blind nach dem Lichtschalter, ein Gefangener des Falles. Alles gut und schön, aber warum sollte White so etwas tun? Als Blue sich diese Frage stellt, kann er nicht mehr denken. Sein Gehirn hört auf zu arbeiten, weiter als bis hierher kommt er nicht.
Nehmen wir also Black. Bis jetzt ist er der ganze Fall gewesen, die augenscheinliche Ursache all seiner Schwierigkeiten. Aber wenn es White in Wirklichkeit auf Blue abgesehen hat und nicht auf Black, dann hat Black vielleicht nichts damit zu tun, dann ist er vielleicht nicht mehr als ein unschuldiger Zuschauer. In diesem Fall nimmt Black die Position ein, die Blue die ganze Zeit für die seine gehalten hat, und Blue übernimmt die Rolle von Black. Dafür spricht einiges. Andererseits ist es auch möglich, dass Black irgendwie im Bunde mit White arbeitet und dass sie sich gegen Blue verschworen haben.
Wenn das so ist, was tun sie ihm an? Nichts sehr Schreckliches – zumindest nicht in einem absoluten Sinne. Sie haben Blue dazu gebracht, nichts zu tun, so untätig zu sein, dass sein Leben auf beinahe gar kein Leben reduziert worden ist. Ja, sagt sich Blue, so fühlt es sich an: wie gar nichts. Ihm ist zumute wie einem Mann, der dazu verurteilt wurde, für den Rest seines Lebens in einem Zimmer zu sitzen und ein Buch zu lesen. Das ist seltsam genug – bestenfalls halb lebendig zu sein, die übrige Welt nur durch Worte zu sehen, nur durch das Leben anderer zu leben. Aber wenn das Buch interessant wäre, würde das vielleicht gar nicht so schlecht sein. Er könnte sozusagen von der Geschichte gefangen genommen werden und nach und nach sich selbst vergessen. Doch dieses Buch bietet ihm nichts. Es gibt keine Geschichte, keine Handlung – nichts als einen Mann, der allein in einem Zimmer sitzt und ein Buch schreibt. Das ist alles, erkennt Blue, und er will nichts mehr damit zu tun haben. Aber wie kommt man heraus? Wie kommt man aus dem Zimmer, welches das Buch ist, das so lange weitergeschrieben wird, wie er in dem Zimmer bleibt?
Was Black angeht, den sogenannten Verfasser dieses Buches, so kann Blue dem, was er sieht, nicht mehr trauen. Ist es möglich, dass es wirklich einen solchen Mann gibt – der nichts tut, der nur in seinem Zimmer sitzt und schreibt? Blue ist ihm überallhin gefolgt, er hat ihn in den fernsten Winkeln aufgespürt, hat ihn so scharf beobachtet, dass seine Augen zu versagen scheinen. Selbst wenn er wirklich einmal sein Zimmer verlässt, geht Black nie irgendwohin, er tut nie viel: Lebensmittel einkaufen, gelegentlich die Haare schneiden lassen, ins Kino gehen und so weiter. Aber meist schlendert er nur durch die Straßen und schaut sich ein wenig in der
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