Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen
Eine komplizierte Geschichte entwickelt sich, und Mitchum versucht verzweifelt, sich aus der Falle zu befreien. Einmal kehrt er in die kleine Stadt zurück, in der er wohnt, sagt Ann, dass er unschuldig ist, und beteuert ihr, dass er sie liebt. Aber es ist in Wirklichkeit schon zu spät, und Mitchum weiß es. Gegen Ende gelingt es ihm, Douglas zu überreden, die Greer wegen des Mordes anzuzeigen, den sie begangen hat, aber in diesem Augenblick betritt die Greer das Zimmer, zieht ruhig eine Pistole und erschießt Douglas. Sie sagt Mitchum, dass sie zusammengehören, und er, fatalistisch bis zuletzt, scheint auf sie einzugehen. Sie beschließen, zusammen aus dem Land zu fliehen, aber als die Greer geht, um ihre Koffer zu packen, ruft Mitchum die Polizei an. Sie steigen in den Wagen und fahren los, aber bald geraten sie in eine Straßensperre der Polizei. Als die Greer erkennt, dass sie hintergangen worden ist, zieht sie eine Pistole aus ihrer Handtasche und erschießt Mitchum. Dann eröffnet die Polizei das Feuer auf den Wagen, und die Greer wird ebenfalls getötet. Danach kommt die letzte Szene – am nächsten Morgen in der kleinen Stadt Bridgeport. Jimmy sitzt auf einer Bank vor der Tankstelle, und Ann kommt und setzt sich zu ihm. Sag mir eines, Jimmy, sagt sie, das eine muss ich wissen: Wollte er mit ihr fliehen oder nicht? Der Junge denkt eine kleine Weile nach und versucht, zwischen Wahrheit und Güte zu entscheiden. Ist es wichtiger, den guten Ruf seines Freundes zu wahren oder das Mädchen zu schonen? All das dauert nur einen Augenblick. Er sieht dem Mädchen in die Augen und nickt, wie um zu sagen, ja, er hat die Greer schließlich doch geliebt. Ann tätschelt Jimmys Arm, dann geht sie zu ihrem früheren Freund, einem anständigen Polizisten, der Mitchum immer verachtet hat. Jimmy sieht zu dem Schild der Tankstelle hinauf, auf dem Mitchums Name steht, und winkt ihm einen freundschaftlichen Gruß zu, dann wendet er sich ab und geht die Straße hinunter. Er ist der Einzige, der die Wahrheit kennt, und er wird nie etwas sagen.
In den nächsten Tagen lässt sich Blue diese Geschichte viele Male durch den Kopf gehen. Es ist gut, entscheidet er, dass der Film mit dem taubstummen Jungen endet. Das Geheimnis ist begraben, und Mitchum wird auch im Tode noch ein Außenseiter bleiben. Sein Lebensziel war sehr einfach: Er wollte ein normaler Bürger in einer normalen amerikanischen Stadt werden, das Mädchen von nebenan heiraten und ein ruhiges Dasein fristen. Es ist seltsam, denkt Blue, dass der neue Name, den sich Mitchum aussuchte, Jeff Bailey ist. Das kommt dem Namen einer Figur in einem anderen Film bemerkenswert nahe, den er im vorigen Jahr mit der zukünftigen Mrs. Blue sah – George Bailey, gespielt von James Stewart in Ist das Leben nicht schön?. Diese Geschichte handelte auch vom kleinstädtischen Amerika, aber vom entgegengesetzten Standpunkt aus: Es ging um die Enttäuschungen eines Mannes, der sein ganzes Leben lang zu entkommen versucht. Aber zuletzt versteht er, dass er ein gutes Leben gehabt, dass er immer das Richtige getan hat. Mitchums Bailey würde zweifellos gern derselbe Mann sein wie Stewarts Bailey. Aber in seinem Fall ist der Name falsch, aus einem Wunschdenken entstanden. Sein wirklicher Name ist Markham. Er wurde gebrandmarkt durch die Vergangenheit, und dagegen lässt sich nichts mehr tun. Etwas geschieht, denkt Blue, und dann geschieht es immer wieder. Es kann nie geändert werden, kann nie mehr anders sein. Dieser Gedanke beginnt Blue zu verfolgen, denn er sieht ihn als eine Art Warnung, eine Botschaft, die aus seinem Inneren kommt, und sosehr er versucht, ihn beiseitezuschieben, die Dunkelheit dieses Gedankens verlässt ihn nicht.
Eines Abends schlägt Blue daher schließlich sein Buch Walden auf. Die Zeit ist gekommen, sagt er sich, und wenn er jetzt nicht eine Anstrengung unternimmt, wird er es nie tun, das weiß er. Aber der Text ist nicht einfach. Als Blue zu lesen beginnt, hat er das Gefühl, eine fremde Welt zu betreten. Er stapft durch Sümpfe und Dornengestrüpp und klettert düstere Geröllhalden und tückische Felsen hinauf, er fühlt sich wie ein Gefangener auf einem Gewaltmarsch, und sein einziger Gedanke ist zu fliehen. Thoreaus Worte langweilen ihn, und es fällt ihm schwer, sich zu konzentrieren. Ganze Kapitel ziehen vorbei, und als er an ihrem Ende angekommen ist, stellt er fest, dass er nichts behalten hat. Warum sollte jemand fortgehen und allein in den Wäldern leben?
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