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Die Nibelungen neu erzählt

Die Nibelungen neu erzählt

Titel: Die Nibelungen neu erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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und tat, als ob er sich geschlagen gäbe, »ach, Ihr macht es Euch so schwer, Kriemhild!«
    »Nein«, rief sie lachend, »wenn der Richtige für mich nicht kommt, will ich eben warten.«
    Eine andere Voraussetzung für eine Verbindung nannte Kriemhild erst gar nicht, eben weil sie selbstverständlich war: die Standesgemäßheit.
    Hagen dagegen war sich dieser Schranke wohl bewußt. Er unterhielt sich gern mit Kriemhild, dieses Frage-Antwort-Spiel gefiel ihnen beiden. Kriemhild bestätigten die Gespräche immer wieder ihre Einzigartigkeit, wer würde sich das nicht gern bestätigen lassen, noch dazu von einem so brillanten Geist wie Hagen.
    Für Hagen waren solche Konversationen immer zweierlei: Einerseits versicherte er sich darin seiner Macht am Hof. Es sah nicht danach aus, daß Kriemhild ihre Ansprüche herunterschrauben würde. Also bestand nur wenig Gefahr von einer neuen, eingeheirateten Macht, die sich nicht wie Gunther von ihm, Hagen, vertreten ließ.
    Auf der anderen Seite hatten diese Gespräche für Hagen etwas Bitteres. Sie machten ihm jedesmal bewußt, daß sich sein gesellschaftlicher Stand weit unter seinen geistigen Möglichkeiten befand. Alle Eigenschaften, die Kriemhild von einem zukünftigen Mann erwartete, trafen auf ihn zu. Nun gut, er war vielleicht nicht ganz so reich, wie sie wünschte. Aber er war wie kein anderer in der Lage, sich Reichtümer zu verschaffen. Gut, vielleicht verfügte er nicht über jene Herzensgüte, die sie so pries. Aber er war sich sicher, daß er diese vorzüglich vorzuspielen vermochte. Und wer weiß, womöglich war dieser Charakterzug ja erlernbar. Aber all diese Gedanken waren überflüssig – Hagen war nicht standesgemäß.
    Die Macht des Hagen von Tronje am Hof der Burgunden verstärkte sich, je unwahrscheinlicher es wurde, daß Kriemhild je heiratete. Seine Position war unumstritten.
    Denken wir an Helena, diese herausragende Figur der griechischen Sagenwelt. Wie anders stellt sich die Situation der Frau im Nibelungenlied dar! Helena wurde erst gar nicht gefragt, ob oder wen sie ehelichen wolle. Ihr Stiefvater Tyndareos schrieb sie, als sie das entsprechende Alter erreicht hatte, zur Verheiratung aus. Und dann bestimmte er ihr den Mann, er. Und sie wurde vergeben an den Reichsten.
    Es wäre undenkbar, daß Kriemhild sich Ähnliches bieten ließe. Daß etwa ihr Bruder ihr Vorschriften machte, wen sie zum Gemahl nehmen solle. Die Frauen im Nibelungenlied sind in einem bedeutend höheren Maße emanzipiert, als es die Griechinnen waren.

Kriemhilds Gelübde
     
    Eines Tages hatte Kriemhild einen Traum. Sie träumte, ein Falke komme durch die Luft geflogen und lasse sich auf dem Fensterbrett ihrer Kammer nieder. Er blickte sie durch das Fenster hindurch an, und als sie das Fenster öffnete, flog er nicht davon. Er war sogar zutraulich gewesen. Sie träumte, sie hat ihre Hand ausgestreckt nach dem Falken, und der Falke hat sich auf ihre Hand gesetzt, und sie hat mit ihrem Finger den Rücken des Falken gestreichelt. Sie hat den Falken im Auge behalten, und er hat sie im Auge behalten.
    Das träumte sie.
    Und sie träumte weiter, daß plötzlich ein dunkler Schatten auf sie und den Falken fiel. Als sie hochblickte, sah sie zwei Adler, einen großen, mächtigen, schwarzen und einen kleineren, grauen Adler. Die Flügel des ersten hatten eine beängstigende Spannweite. Die Flügel des zweiten waren müde und matt.
    Der große Adler, so träumte sie, habe einen Schrei ausgestoßen und sich niedergestürzt auf den Falken, auf den schönen Falken, den geliebten, der auf ihrer Hand saß. Und er hat mit seinem harten, gebogenen Schnabel auf ihn eingehackt, und er hat den Falken zerrissen. Und nun hat sich auch der kleine Adler niedergestürzt, und gemeinsam töteten sie ihren geliebten Falken.
    Das war der Traum der Kriemhild.
    Am nächsten Morgen erzählte sie diesen Traum ihrer Mutter, der Königin Ute.
    Ihre Mutter sagte: »Gib mir einen Tag Zeit, um diesen Traum zu deuten.« Sie verstand sich im Traumdeuten. »Es ist ein großer Traum«, sagte sie, »ich muß erst in mich hineinhören, dann kann ich dir sagen, was seine Bedeutung ist.«
    Am nächsten Tag sagte sie: »Dieser Traum bedeutet folgendes: Du wirst einen Mann kennenlernen. Den wirst du sehr lieben. Er wird dein Gemahl werden, und ihr werdet gemeinsam ein großes Glück haben. Aber das Glück wird kurz sein. Denn er wird dir genommen. Dein Unglück wird größer sein als dein Glück, denn es wird dauern bis an dein

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