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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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könnte!«
    Von Bötticher knallte sein Glas auf die Steinplatten. »Dann geh doch! Ich halte dich nicht, Mann. Ich habe dir Arbeit gegeben, als du auf der Straße standest, als deine feine Gewerkschaft nichts für dich tun konnte. Und jetzt muß ich mir so was anhören? Geh nur zurück in die stinkige Stadt, vielleicht haben sie ja jetzt Arbeit für dich.«
    Mehr brauchte es für Heinz nicht. Er erhob sich melodramatisch, band seine Schmiedeschürze los und schleuderte sie weg. Er mußte ein ganz anderes Bild von sich haben, ein Arbeiter wie auf den Plakaten, den Blick auf unendlich und hinter einem breiten Schulterpaar die aufgehende Sonne. Doch er war betrunken, die Augen waren wäßrig, unter seiner dünnen Schädelhaut schwollen die Adern. »Und ob!« schrie er. »Ich bin nicht Ihr Eigentum. Komm Leni, hier haben wir nichts mehr zu suchen.«
    Leni rannte davon, Heinz folgte torkelnd, bückte sich aber, um die Fleischgabel aufzuheben, die sie in den Kies hatte fallen lassen, und das sah alles andere als markig aus.
    »Na, das ist ja ein Abend«, sagte die Mutter. Sie hockte auf ihrem Stuhl, das rote Mantelkleid um die Schultern geschlagen. Kleopatra. Die gebar Zwillinge nach einem Flirt mit Marcus Antonius, einem verheirateten Mann, und vier Jahre später machte sie ihm schon wieder schöne Augen. Auch so ein quengeliges Weib. Vielleicht gibt es ja wenig zu bemuttern bei Kindern, die einander genug sind. Sie saß mit dem Rücken zu ihren Söhnen, kein Interesse an deren bizarrem Tanz. Sie tanzten im rosigen Schein des Sonnenuntergangs, ohne Musik oder Publikum, was auch Vögel und Eingeborene nicht brauchen. Sie tollten umeinander her, purzelten im Gras herum, liefen auf den Händen, den nackten Nabel zeigend. Manchmal verschwanden sie ineinander, wie bei einem Zaubertrick mit Spiegeln. Mir wurde schwindlig. Vorsichtig stellte ich mein leeres Glas auf den Tisch zurück, die ganze Zeit hatte ich es festgehalten aus Angst, es würde nachgefüllt. Aus dem Haus drang Heulen und Türenknallen. Von Bötticher suchte unter seinem Stuhl, fand da nichts. Er lächelte tragisch, anders konnte er nicht. Bei ihm waren bestimmt Nerven durchtrennt, streng schauen gelang ihm eigentlich noch am besten. Heinz, purpurrot, und seine abgerackerte Frau tauchten wieder auf, wie Seeleute nach einer stürmischen Fahrt. »Gnädiger Herr, gnädiger Herr«, war schon von weitem zu hören. Ein jämmerliches Schauspiel. »Ich bin zu weit gegangen, entschuldigen Sie bitte vielmals, ich wollte Ihnen nur einen Rat geben. Das ist nicht meine Sache, das steht mir nicht zu, wie würde ich das wagen! Ich bin nur Gärtner, Ihnen ganz untergeben, völlig außer Zweifel.«
    »Ist in Ordnung«, sagte von Bötticher, während er auf die Schmiedeschürze im Gras deutete. »Ein Duell bist du nicht wert. Ab morgen fettest du jeden Tag Megairas Hufe ein, verstanden?«
    »Hör auf Egon«, lallte die Mutter. Sie rappelte sich aus ihrem Gartenstuhl hoch und ließ sich auf seinen Schoß fallen. Wo zuvor ihre Füße gelegen hatten, da vergrub sie jetzt ihr Gesicht. Das Grellblond war nicht ihre eigene Farbe. Im Nacken wuchsen dunkle Haare, wie Baumwurzeln aus einer Uferböschung. »Hör auf meinen lieben Leibhusar. Schau mich mal an, Husarenschatz, schau dein Pferdchen an. Das darfst du gern reiten, wenn du willst, schau nur, wie sattelfromm ich bin, mein lieber Leibhusar!«
    »Janna, komm her«, zischte Leni, »das muß sich eine anständige junge Dame nicht ansehen.« Sie hatte genug zu tun mit Heinz, der sich unbedingt selbst aufrecht halten wollte. Sie wich einem Schlag aus, wie eine Mutter den fuchtelnden Fäustchen ihres Säuglings. Genauso routiniert schob sie sich unter seine Achsel, parkte ihn auf ihrer Hüfte und schleppte ihn in ihre Bude hinter der Küche. Die Arme, bevor sie neben ihn in das hohe Bett kriechen könnte, warteten bestimmt noch zwei Stunden Arbeit auf sie.
    In meinem Zimmer ging ich sofort ans Fenster, und ja, da waren sie noch auf dem Feld, die Gebrüder Säbelfechter. Den Arm um die Schultern des anderen gelegt, schritten sie bedeutungsvoll umher. Endlich allein. Die Erwachsenen waren alle im Haus, die Tür war laut zugefallen, ein Glas auf den Steinplatten zerschellt, Heulen oder Lachen war ertönt, zischendes Flüstern, das bis hinauf ins Dachgeschoß drang, aber niemand hatte an die Zwillinge gedacht. Die fanden das gar nicht schlimm. Sie hatten mich sofort ignoriert. Beim Meister war ich allmählich daran gewöhnt, auf Beachtung

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