Die niederländische Jungfrau - Roman
seitens der Mutter legte ich keinen Wert, sie aber waren Mitschüler, fast genauso alt wie ich.
Ein paar Stunden später schrak ich hoch. Der Mond schien grell durch den Vorhang. Ich stand auf, um ihn zur Seite zu schieben, und sah gerade noch das Kabrio losfahren. Leni, im Morgenmantel, schloß das Tor, schlurfte den Weg zurück, ich wollte auch wieder ins Bett, da sah ich sie auf der Wiese liegen. Vielleicht träumte ich, daß das Gras um ihre Körper herum hochgeschossen war. Sie sahen aus wie tot, wie Gegenstände lagen sie nebeneinander im nickelgrauen Licht.
7
Auf Raeren wurde ich zur Spannerin. Geschlossene Vorhänge, fremde Briefe, unverständliche Wortwechsel – all das zog mich an wie der Tresor den Dieb. Nach Spuren zu suchen ist ein herrliches Spiel, süßer als die Entdeckung selbst. Doch dies waren keine Flausen eines frechen Görs. Am sechsten Morgen wachte ich in dem Bewußtsein auf, ausgeschlossen zu werden. Ich war ein ungebetener Gast. Nichts, was ich innerhalb der Mauern von Raeren sehen konnte, war für meine Augen bestimmt. Manche Voyeure suchen ein Bild, das nicht einmal der Belauerte selbst sehen kann: Wenn dieser allein ist, ohne Spiegel, oder schläft, dann freuen sie sich diebisch über dieses Alleinrecht. Andere machen sich weis, sie teilten etwas mit dem Belauerten, meinen, dieser wolle beobachtet werden, weil er sein Schlüsselloch nicht mit einem Schlüssel zugestopft hat. Ich war der erboste Voyeur, auf der Suche nach Beweisen. Alles schlief noch. Nur ich sah, wie die Zwillinge im Fechtsaal Musketier spielten. Die Türen zur Terrasse standen offen. Die wehenden Tüllgardinen gaben den Blick mal auf den einen, mal auf den anderen frei. Aus den Fragmenten, die mir da zuflogen, zog ich den Schluß, daß die Säbelfechter schöner waren als die Brüder Nadi. Sie glichen sich wie zwei Blutstropfen. Ohne Masken oder Jacken. Die Übernachtung im Gras hatte keine Spuren auf ihren Gesichtern hinterlassen, sogar ihre nackten Oberkörper zeigten nicht einen Fleck. Darüber konnte man sich Gedanken machen, oder auch nicht, denn diebesten Fechter sind ramponiert. Ich fand meine blauen Flecken nie häßlich, sofern sie außerhalb der Trefffläche lagen (einen großen Bluterguß am Oberarm trug ich eine Woche lang wie eine Trophäe herum, bis eine Freundin fragte, ob mir nicht kalt sei in dem ärmellosen Blüschen), doch die Körper der beiden Säbelfechter waren unversehrt und wächsern, als hätte sie jemand für diese Zurschaustellung zurechtgeknetet. Plötzlich griffen sie an. Sie fochten grob, mit großen Aktionen. Das Parkett knarrte unter ihren Schritten. Das konnte nicht gutgehen. Ihre Klingen klirrten in der Luft, man hörte zu viel Eisen auf Eisen. Das gehört sich nicht, ein guter Fechtkampf kennt stille Momente. Wer sie durchbricht, muß blitzschnell zuschlagen. Ohne Stille bleibt von einem Duell nur blindes Draufloshauen. Gemetzel. Wie lange muß ein Beobachter zuschauen, bevor er mitschuldig wird? Irgend etwas war komisch. Etwas hielt mich davon ab einzugreifen. Jeder Hieb wurde ripostiert, die Zwillinge trafen einander kein einziges Mal, obwohl es genügend Treffer hätte geben können. Zum Schluß drehte einer der beiden seinen Rumpf um neunzig Grad weg, so daß der andere, der Anlauf genommen hatte, mit einem Schrei über die Bahn taumelte. Sie platzten los. Es war eine einstudierte Übung, Theater. Ich räusperte mich. Sie waren nicht erstaunt, mich zu sehen, machten sogar eine Verbeugung.
»Wie fandst du das?« fragte der hingefallene Bruder. »Von Mama gelernt. Eigentlich gehört noch ein Stuhl dazu. Siegbert kann das gut. Er springt auf den Sitz, dann auf die Lehne, der Stuhl kippt, er springt weg – willst du’s mal sehen?«
»Ficht eure Mutter auch?«
»Sie ist Schauspielerin. Aber jetzt ist sie weg. Und derMeister ist krank. Wir wollten ihn holen, die Tür stand offen. Als wir an seinem Fußende standen, richtete er sich auf wie der Golem. Kennst du den Film? So, ganz langsam, mit ausgestreckten Armen. Wir haben uns zu Tode erschreckt.« Er griff nach einem Stuhl und hob ihn mit weitaufgerissenen Augen über den Kopf. »Der Golemmm!«
Ich mußte lachen, doch sein Bruder blieb ernst. »Ich hab mich nicht erschreckt, Friedrich«, sagte er. »Nur du hattest Angst.«
Erst jetzt trat ein Unterschied, und sogar ein wesentlicher, zwischen den beiden zutage. Ihre Art zu reden. Wenn Siegbert etwas sagte, gefror sein Gesicht zu einer eisigen Maske. Es machte ihn alt, während
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