Die niederländische Jungfrau - Roman
Wild zu schießen. Aber nach dem Jahr ohne Sommer war auch der Wald leer. So kam sie doch wieder aufdie Sau zurück und entschloß sich zu einer abscheulichen Tat …«
»Mach schon«, sagte Leni mürrisch. »Es reicht jetzt mit deinen Märchen.«
»Nun, sie nahm sie mit zurück in den Stall, dort schnitt sie ihr eine Ader am Hals auf. Der Länge nach, so geschickt wie ein Chirurg, und nachdem sie ihr zwei Pfund Blut abgezapft hatte, nähte sie die Wunde mit Nadel und Faden wieder zu. Aus dem Blut machte sie mit etwas Roggen und Zwiebeln ein köstliches Möppkenbrot. Das Gericht kam bei dem hohen Besuch so gut an, daß er auf dem Rückweg noch einmal in der Herberge haltmachte. Diesmal schnappte sich der Wirt die Sau und auch danach wieder, für Gäste, die Wind davon bekommen hatten. Immer wieder mußte dieses intelligente Tier an das Messer glauben! Inzwischen wußte es schon, was ihm blühte, und nahm in den höchsten Tönen kreischend Reißaus, sobald eine Kutsche am Tor erschien. Doch es gelang ihm nie, dem blutrünstigen Wirt zu entwischen. Seine Frau erkannte ihn gar nicht wieder, konnte es nicht länger ertragen. Sie hat sich schließlich erhängt. Scheußlich, nicht wahr?« Er nahm einen tiefen Zug an seiner Zigarette und begann zu lachen. »Möppkenbrot, so was aber auch. Moral von der Geschicht’: keine Rührseligkeit, was Tiere betrifft. Schweine müssen geschlachtet werden. Schnell und fachmännisch.«
»Wer muß geschlachtet werden?«
Egon stand in der Tür, in der Hand ein Köfferchen und einen Hut. Er wirkte benommen, wie ein Rudergänger, der zu lang auf die Wellen geschaut hat. Wahrscheinlich hatte er ununterbrochen gelesen, vielleicht ja wie ich immer las, einen Buchstaben nach dem anderen verschlingend in dem Verlangen nach einem guten Ende, bis ich merkte, daß ich auf dem Weg dorthin nichts mitbekommen hatte.
»Schweine«, sagte Heinz, treudoof an seiner Hose zerrend, »die darf man nicht zu lange rumlaufen lassen, das geht auf Kosten der Fleischigkeit.«
Wir schauten alle auf die Sau, die im Trab das Wasser abschüttelte.
»Dann machen wir das«, sagte Egon, während er sich den Hut aufsetzte. »Wenn ich zurückkomme, schlachte ich sie.«
»Zurückkomme?« fragte Leni. »Wo fahren Sie hin?«
»Ich fahre, sobald es aufklart. Ihr müßt ein Weilchen ohne mich zurechtkommen.«
»Ohne Sie, aber das geht doch nicht! Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich meine Schwester besuchen muß!«
»Das können Sie auch«, sagte Egon. »Ich sehe, Sie sorgen für reichlich Vorrat. Das Mädchen kann Sie solange vertreten.«
»Aber das geht doch nicht!« rief Leni wieder, fast in Tränen. »Vielleicht gibt es ja Leute, die Sie besuchen wollen … zu Ihrem Geburtstag?«
»Meinem Geburtstag? Dummes Zeug. Heinz, ich wollte dich bitten, die jungen Rosen zu schützen. Ich spüre, wir bekommen ordentlich Nachtfrost.«
Er griff nach seinem Köfferchen und ging aus der Küche. Leni schoß umher wie ein aufgescheuchtes Huhn, hob einen Deckel nach dem anderen von den Töpfen, als köchele da die Lösung des Problems. »Was mach ich jetzt? Ach Heinzi, was mach ich jetzt nur? Wir müssen ihn aufhalten. Vielleicht klart es ja nie auf, vielleicht hält dieses Wetter an, bis Doktor Reich kommt. Was meinst du, Heinzi? Mann, sag doch was!«
Doch da war der Motor schon zu hören, stotternd und viel leiser, als man es von so einem großen Auto erwarten würde. Ich klatschte den Teig auf den Holzklotz und rannte ihm hinterher.
»Halt ihn auf!« hörte ich Leni schreien. »Dann sag’s ihm eben in Gottes Namen!«
Er sah im Rückspiegel, wie ich auf meinen glatten Turnschuhsohlen über den nassen Rasen schlitterte, schreiend, aber es rührte ihn nicht.
»Du kannst nicht einfach wegfahren und nicht sagen, wohin! Ist es wegen mir? Es tut mir leid!«
Das Auto, das ein tiefschwarzes Verdeck wie ein Leichenwagen hatte, verschwand im Unwetter. Ich blinzelte die Tropfen von meinen Wimpern und sah noch einen Rest Rauch. Es schien, als lebe er, als verharre er einladend noch ein wenig, bevor auch er um die Ecke verschwand. Zurück blieb ich mit all dem Wasser, das mir über die Nase in den Mund strömte, die Tränen auf meinen Wangen verdünnte und ekelhaft in den Kragen meiner Fechtjacke rann. Mir war nicht kalt. Wieder spürte ich die Wärme eines anderen Menschen, wie schon einmal an diesem Morgen im Fechtsaal. Helene. Wochenlang hatte ich keine Tagträume mehr gehabt, und jetzt kehrte meine Phantasie mit einem Déjà-vu
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