Die niederländische Jungfrau - Roman
Klatsch über den Mann zuzutragen, den er haßte. Von mir würde sie nichts erfahren.
»Möchtest du, daß ich ihn frage, ob er Geburtstag hat?«
»Hä?« Abwesender Blick aus dem Fenster. Draußen zogen die Zwillinge die Sau an einem Strick hinter sich her. Die Jungen und das Tier schienen wieder ein Herz und eine Seele, die Sau lief mit, allerdings gemächlich. Dann setzte sie sich rittlings ins Gras, wie eine Kurtisane.
»Die sind nicht ganz richtig im Kopf«, sagte Leni. »Was meinst du, sind es seine Kinder?«
»Was?« Hatte sie das wirklich gesagt? »Was hast du gesagt?«
»Die sind nicht ganz richtig im Kopf«, wiederholte sie. »Sie beten sich gegenseitig an, andererseits aber auch wieder nicht. Ich finde sie gruselig, als ob sie was im Schilde führen. Vor ein paar Tagen ging ich in ihr Zimmer, weil ich Schreie gehört hatte. Als ich reinkam, war der Boden klatschnaß, die Wanne stand in der Mitte, sie waren beide eingeseift … das sind doch keine kleinen Jungs mehr.« Sie errötete. »Der eine saß auf dem Bett, die Hände vor dem Gesicht, der andere hatte sich an der Hand verletzt, daran saugte er; eine Schnittwunde, für die er mich um einen Verband bat.«
Sie sah mich erwartungsvoll an. Sag’s mir.
»Es sind von Mirbachs Kinder«, sagte ich. »Tatsache.«
Ihr Blick wurde starr. Sie zeigte auf den Teig unter meinen Händen und sagte: »Der kann dünner sein.«
Ich brauche das nicht zu machen, dachte ich, frag doch deinen Mann, dieses Schreckgespenst. Aber in dem Moment kam er gerade schwungvoll in die Küche, und er sah so merkwürdig aus, daß ich wohlweislich darauf verzichtete, ihn zu fragen. Heinz war saubergeschrubbt einschließlich der Fingernägel und trug Knickerbocker, die von einem Gürtel hochgehalten wurden, wahrscheinlich ein abgelegtes Stück von irgend jemandem. Wie ein kümmerlicher Täuberich paradierte er durch die Küche.
»Und, hast du schon mit ihm gesprochen?« fragte Leni, unbeeindruckt.
»Nein, keine Chance«, sagte er. »Ich traf ihn auf dem Weg zur Toilette und sagte ihm, daß sein Pferd geritten werden muß, aber er wollte nichts davon hören.«
Er ging mit possierlichen Tapsschritten zum Fenster, faltete die Hände hinter dem Rücken und starrte zum Himmel, der einen Sturm erwartete.
»Wenn man Pferde nicht reitet, werden sie dumm«, sagte er. »Sie werden dösig, vergessen, was sie gelernt haben, und trocknen ein, genau wie ihre Sättel. Wohingegen Menschen, wenn man sie ignoriert, wach werden. Die regen sich auf, wetzen ihre Zungen und danach ihre Messer.«
»Sssst«, sagte Leni.
Draußen, unter dem Himmel, der sich blitzschnell dunkelgrün färbte, hatten die Zwillinge zu raufen begonnen. Sie wälzten sich im Gras, zerrten sich gegenseitig an den Armen und schlugen mit der flachen Hand zu. Das Schwein trabte um sie herum, wie der Schiedsrichter bei einem Boxkampf.
»Tu was, Heinzi«, sagte Leni. »Hol das Vieh da weg.«
Heinz steckte sich eine Zigarette in den Mund und suchte Feuer. »Das Schwein muß geschlachtet werden.«
»Wir haben genug Fleisch.«
»Dieses Affentheater, davon wird das Fleisch nicht zarter. Die Sau wird ja ganz wirr im Kopf, das macht ihr Blut zähflüssig. Die Menschen verhätscheln so ein Viech, denken, davon wird es glücklich, aber das Gegenteil ist der Fall. Meine Oma hat mir mal was von einem Schwein erzählt, eine Geschichte, die sie wiederum von ihrer Oma hatte …«
Er sog den Rauch tief in die Lungen. Hinter seinem Rücken sah ich, wie der eine Zwilling den anderen mit dem Knie zu Boden drückte, während das Schwein sie beschnüffelte. An ihren Gesichtern erkannte ich, daß die ersten Tropfen bereits gefallen waren.
»… über das Schwein des Gastwirts«, fuhr Heinz fort. »Die Geschichte spielte sich nach dem Jahr ohne Sommer ab, als die Menschen Hunger litten. 1817. Der Gastwirt erwartete hohen Besuch, konnte aber nichts anbieten. Die Vorräte waren aufgebraucht, die Felder kahl, die Bauern mußten untätig zusehen, wie ihre Kinder starben. Nun hatte die Gastwirtsfrau ein Schwein lieb, eine magere alte Sau, die ihr Wärme bot. Weil sie das Unheil nahen fühlte, band sie sie in der bewußten Nacht im Wald an einen Baum, um dann dem Gastwirt zu berichten, die Sau habe Reißaus genommen. Der Wirt wußte nicht ein noch aus! Ach, gab das ein Gejammer. Es war eine gute Ehe, die Frau konnte seinen Kummer nicht mit ansehen. Sie versprach, einen wahren Schmaus für die Gäste zuzubereiten, und zog in den Wald, um ein Stück
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