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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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fechten. Ein eisiger Wind zog durch die Eingangstür ins Haus. Ich trödelte auf dem Flur herum in der Hoffnung, noch etwas mitzubekommen, doch da drinnen wurde wohlweislich geschwiegen. Ich ging auf die Terrasse hinaus, fröstelnd wegen der Kälte und meines tollkühnen Plans. So leicht kamen sie mir nicht davon. Ich wußte, daß die Türen angelehnt waren, weil Egon den Saal nach jeder Unterrichtsstunde von unserem Schweißgeruch säuberte, der sich noch verstärkt hatte, seit die Wände neu tapeziert worden waren. Durch die halb geöffneten Gardinen sah ich sie an der Stelle einander gegenüberstehen, an der ich getanzt hatte. Ich hatte Walzer getanzt mit dem Schergen, der gekommen war, um diese Männer in Opfer und Täter aufzuteilen. Wer wußte eigentlich, was da im einzelnen vor sich ging? Heinz vielleicht, der seit der Rückkehr des Hausherrn unseren Blicken auswich? Als der Wind drehte, fiel gerade sein Name.
    »Heinz.«
    »Ach, der arme Tropf, der tut die Arbeit, für die ich ihn eingestellt habe.«
    »Ich schwöre dir, sie hatten meine Waffe mitgenommen. Geladen. Ein Wunder, daß sie jetzt wieder in meinem Besitz ist.«
    »Wohin gehst du?«
    »Bordeaux.«
    »Freunde, Verwandte?«
    »Verwandte. Sie wollen über den Ozean, aber ich glaube nicht, daß es soweit kommt.«
    Der Otter steckte die Hand in seine Innentasche und zog ein dünnes Büchlein hervor. »Mit einem Reisepaß wiemeinem kommt man nicht mehr weg. Darum hat mir Erich diesen besorgt. Ich verdanke dem Jungen mein Leben.«
    Ich sah, wie er sich die Augen rieb, konnte aber nicht feststellen, ob er weinte. Egon nahm ihm das Dokument aus der Hand, roch daran. »Golddruck in Leder. Man muß zugeben, sie haben Geschmack. Nur der Weimar-Adler, der ist bereits auf und davon.«
    »Das ist das neue Modell, mit dem Hoheitszeichen. Ich sehe es nicht gern, das Hakenkreuz. Irgendwas ist damit. Weißt du, wer es nach Deutschland gebracht hat?«
    Egon schüttelte den Kopf, während er aufmerksam blätterte. Ein Windstoß griff in die Gardinen und blies sie zusammen. Als wüßte er, daß ich ihn jetzt nicht sehen konnte, erhob der Otter die Stimme.
    »Der alte Schliemann. Als Schliemann Troja entdeckte, fand er das Hakenkreuz an Agamemnons Sarkophag. Zusammen mit der Maske.«
    »Schliemann ist schon seit einem halben Jahrhundert tot«, sagte Egon.
    »Kann schon sein, aber danach kamen all die anderen Archäologen wie zum Beispiel Kossinna, die behaupteten, die griechische Kultur sei im Grunde germanisch und die homerischen Helden arisch. Schliemann wollte lediglich beweisen, daß die Odyssee wirklich stattgefunden hat.«
    Ich ging das Risiko ein, auf Zehenspitzen zu dem Spalt zu schleichen. In dem Ausschnitt zwischen den Türflügeln sah ich den Otter den Thibaultschen Kreis abschreiten, Schritt für Schritt. Meinem Vater zufolge wurde jeder, der Verrückte beobachtete, letzten Endes selbst verrückt. Das hatte er in der Klinik erlebt, aber er hatte auch Angst gehabt, vom Irrsinn meiner Mutter angesteckt zu werden.Den Otter in meinem schmalen Visier, fragte ich mich, ob man ein größeres Risiko einging, wenn man nicht einfach zuschaute, sondern heimlich spähte, weil mit zusammengekniffenen Augen alles schärfer wird.
    »Dieses Zeichen ist verflucht«, sagte er. »Du weißt doch, wie Flüche aus Sarkophagen entweichen? Seit Schliemann das Grab des Agamemnon schändete, ruht ein Fluch auf dem deutschen Volk. Sie haben dem Hakenkreuz einen Schubs gegeben, es um eine Achteldrehung verschoben. Dieses verdammte Hakenkreuz dreht sich jetzt immer weiter, schleift uns mit in einer Abwärtsspirale, bis wir uns selbst vom Schwanz her auffressen. Ein Fluch des Lanzenwerfers Agamemnon, dagegen hilft kein niederländischer Rechenmeister.«
    In diesem Augenblick riß der Wind die Türen auf. Der Otter sah Egons Blick und wandte sich sofort nach mir um. Beide Männer waren sprachlos. Daß der Wind versuchte, mit der Gardine meine Schande zu verdecken, half wenig, ich stand da, offen und frei, und spannte. Der Otter druckste herum und zuckte dann mit den Achseln. Nicht zu ändern, ich hatte alles gehört. Auf einmal begann er zu lachen, mühsam, aber immer lauter, weil er bestimmt zwei Wochen lang nicht gelacht hatte. »Wenn man vom Teufel spricht! Sie sieht wie eine griechische Göttin aus in dieser Gardine!«
    Als er sich schließlich verabschiedete, war er auffallend ruhig, fast wieder normal. Er sang vor sich hin, während er zu seinem Auto ging, nahm beim Einsteigen den Hut

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