Die niederländische Jungfrau - Roman
persönlich kennengelernt, und von Amsterdam, als wäre das Goldene Jahrhundert dort immer noch nicht vorbei. Er war in einer Treckschute auf der Amstel gefahren, schäumende Wellen unter sich, Wolken mit Krakelüren über sich. Ein Kindermädchen hatte ihm den Weg zur Bibliothek gezeigt, in den immer enger werdenden Gäßchen hatte sie ihre Röcke gelüpft, doch er mußte weiter, vorbei an Gossengezänk und finsteren Haushalten. Zum Schluß hatte der Bibliothekar das Säckchen Silberlinge entgegengenommen, um seinen Schatz aus den Katakomben hervorzuholen. Zahnloses Grinsen, viel Spaß damit, kein Wort darüber! Das waren die Holländer, wie sie leibten und lebten, diese obskuren Krabbenfresser; auf dem Rokin wäre er fast auf den Schalen ausgerutscht, alle liefen da rum und knabberten daran, ein Volk von Krämern. Der Branntwein mit Zucker, den eine Bardame ihm spendiert hatte, obwohl er sie lediglich um etwas zu essen gebeten hatte, war genauso ekelhaft gewesen, ein Muschelverkäufer hatte ihn unter einer qualmenden Öllampe übers Ohr gehauen, aber das alles war nicht umsonst gewesen. Welch ein Triumph, welche Ehre, Girard Thibault in das Land seines Kurfürsten zurückzubringen, damit wir verzogenen Hallodris endlich das mystische Wissen empfangen konnten! Wenn uns das gelang, würde der Rest schon noch kommen, da war er sich sicher.
Mir gefiel er überhaupt nicht, dieser neue von Bötticher.Die Demut, mit der er den Maître aus dem siebzehnten Jahrhundert über seine Schulter mitschauen ließ, die Ehrfurcht, mit der er das große Buch auf den Tisch legte, die gehorsamen Handschuhe, in denen er die Seiten umblätterte. Wie ein kleiner Ministrant. Wenn alles jetzt so sein sollte, dann wollte ich ihn nicht mehr. Das jedenfalls hoffte ich auszustrahlen, und ich trug es so dick auf, daß mir die Augen brannten. Ich wollte ihn nicht mehr, hatte ihn nie gewollt, konnte ihn aber doch nicht ganz fallenlassen, den armen Kerl, jedenfalls hatte ich noch ein ganzes Leben vor mir, um eine gute Fechterin zu werden, ob mit diesem Buch oder ohne. Wenn er es vorzeigte, zog ich geräuschvoll die Nase hoch. Diese lachhaften Illustrationen! Herren in Pumphosen, kopierte Marionetten mit identischen Gesichtern in verkrampften Posen, weil sie von den Diagrammen unter ihren Füßen nicht abrücken durften. Auf einer Abbildung standen sich acht gegenüber, die waffentragenden Arme gestreckt, während Engel Weisheiten auf Latein von sich gaben und ein Löwe einen Zirkel und ein Winkelmaß in die Höhe hielt. Nur zu. Siegbert, der junge Geometer, fand es natürlich toll. Friedrich dagegen tat, was ich gern getan hätte. Er verließ den Saal mit den Worten, er habe keine Lust auf diese pingelige Rechnerei, ihm sei eine altmodische Partie Schwertfechten lieber, notfalls mit den antiken Parisern, die aller Aufräumwut zum Trotz nach wie vor an der Wand hingen. Da fiel Egon kurz aus seiner Missionarsrolle. Er packte den Rotzbengel am Arm, schleifte ihn zurück in den Saal und stellte ihn auf seinen Platz wie eine Schachfigur. Klare Botschaft, wir brauchten uns gar nicht erst gegen den antiken Schattenmaître aufzulehnen.
Zum Glück waren vor allem die Zwillinge die Gelackmeierten. Ich durfte zuschauen, wie sie schweigen, unbeweglich stehenbleiben mußten, eine Stunde lang vis-à-vis, während Egon sie nach den Vorbildern im Buch modellierte. Er ging hin und her mit der Miene eines Feinmechanikers, legte ein Maßband an ihre Waffen, die sie in derselben Position halten mußten, bis ihnen die Arme zitterten. Er notierte sich viel in einem Notizbuch, das er auf seinem Knie abstützte, während er sagte: »Stehenbleiben, ihr beide.« Manchmal betrachtete er ihre Gliedmaßen, als wären sie mißgestaltet, dann murmelte er: »Da stimmt was nicht.« Sie zitterten vor Demütigung, wenn er sie mit seinem Stift antippte. Die Stimmung wurde immer unheimlicher. Keiner von uns, auch Egon sicherlich nicht, fühlte sich wohl in diesem leergeräumten Raeren, und über das alte Raeren, das sich unserer Verfehlungen erbarmt hatte wie eine anrüchige Herbergswirtin, sprachen wir kein Wort. Eigentlich brauchte nur Siegbert sich wegen nichts zu schämen. Vielleicht war das der Grund, weshalb er am dritten Tag seine Waffe hinschmiß. Sie federte über den Boden. So etwas machte man nicht. Sogar in Maastricht bekamen wir für so etwas eins hinter die Ohren. Doch Siegbert trat sogar noch gegen das Florett: »Wir wollen wieder fechten«, sagte er. »Wir wollen
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