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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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zusammengepreßten Beinen, bezwang ich meine Nervosität. Hier lag ich, zwar bekleidet, aber doch im Bett, während der Herr des Hauses mich an einem Geheimnis teilhaben ließ, das um einiges spannender war als eine Jahrmarktsattraktion.
    »Oh, nein«, sagte ich schnell. »Ich will lieber die Mensur sehen.«
    »Gut so. Du brauchst nicht zu fechten, also zieh dir was Hübsches an. Vielleicht kannst du Leni helfen. Es kommen zwanzig Gäste, und sie ist ganz allein.«
    Eine halbe Stunde später stand ich unten, mit umgebundener Schürze. Wir hatten Heinz und den Säbelfechtern nachgewinkt, was sich ziemlich in die Länge zog, weil Heinz das Auto vor dem Tor anhielt, um ein paar wohlgezielte Hiebe nach hinten zu verteilen. »Gut so«, hatte Leni gemurmelt, als wüßte sie, wofür sie die Schläge verdienten. Danach wurde sie hektisch. Dies war der Plan: Leberbrot mit Himmel und Erde, als Nachtisch Apfelkuchen. Ein Schweinskopf köchelte mit blindem Grinsen im eigenen Sud, bis er zerfiel. Die Stücke drückte sie jetzt durch den Fleischwolf. Ich würgte und lief zum Fenster. Ich sah nichts, mit Ausnahme des roten Gewebes meiner Finger vor der Sonne, doch ich witterte buchstäblich Unrat; eine instinktive, übelkeiterregende Warnung, die von keinem anderen Sinnesorgan ausgesandt sein konnte als von meiner Nase. Als ich die Hände wegnahm, sah ich drei hohe DKWs näher kommen. Wie mattschwarze Käfer krochen sie die Auffahrt herauf. Es dauerte einen Moment, bis die Türen aufschwangen und die elf Insassen, im gleichen hermetischen Schwarz wie ihre Fahrzeuge, ausstiegen. Sie trugen Tellermützen und Schärpen. Ein junger Mann schwenkte eine Trikolore. Carnevale , schoß es mir durch den Kopf. Fleisch, lebe wohl . Jedes Jahr hatte unser Pfarrer seine Aschermittwochpredigt mit der Frage begonnen, ob wir »alles Fett hinuntergeschluckt« hätten. Ob kein Stückchen Fleisch mehr zurückgeblieben sei, das uns während der Fastenzeit in Versuchung führen könne. Die aufgeschwemmten Schäfchen waren meist zu verkatert, um etwas herauszubringen. Danach matschte der Pfarrer ekelhafte Überlegungen zusammen. Über Fleisch, das verdorben sei auf Erden, das schwach sei und verführe, über das lebende Fleisch der Aussätzigen und über den fleischgewordenen Sohn. Erst eine Stunde später, während seine Auslassungen durch die Kirche hallten und der Gestank nicht mehr zu ertragen war, beendete er seine Fleischpredigt mit dem Genuß des Leibes Jesu.
    »Der Zirkus kann losgehen«, nickte Leni, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Die Burschen kennen den Weg, dafür brauchen sie mich nicht.«
    Tatsächlich schlichen sich die Studenten eigenständig ins Haus. In der Diele blieben sie kurz stehen und flüsterten, bevor sie in den Fechtsaal weitergingen. Leni sah sich ihr Küchenmesser an und entschied, daß es nicht geschliffen werden müsse. (Messer sind stumpf in Häusern ohne Männer, sagte meine Mutter so oft, daß mein Vater von da an nur noch sein eigenes Tafelmesser über den Schleifstein zog, mit zerstörerischer Zwanghaftigkeit, so wie ein Hund einen Knochen abnagt.) Sie würde das Nierenfett schneiden, ich sollte die Äpfel schälen. Über dem Tisch schwirrten Bienen, die von den Geißblattsträuchern hereingeflogen waren. Angst macht erst taub, dann blind. Das Summen wurde so allesbeherrschend, daß ich die nächsten Gäste nicht ankommen hörte. Acht junge Männerund ein grauer Otter mit einem Spazierstock. Die jungen Herren trugen die gleichen Mützen wie die erste Gruppe, ihre Schärpen waren jedoch von anderer Farbe. Der Otter hob den Stock und rief: »Herr von Bötticher!« Den sah ich nicht, sicher stand er in der Tür. Leni zählte Zeit, Gäste, Zutaten. »Neunzehn hungrige Burschen plus zwei alte Wänste. Also erst mal das Zielwasser.«
    Ich weiß nicht, warum, jedenfalls beschloß sie, ich solle es ihnen bringen. Ein Tablett voller Schnaps und Schmalz. Vorsichtig ging ich damit zum Fechtsaal, Schritt für Schritt zu meiner ersten Verliebtheit.
    Ich bestreite gern den Eindruck, daß ich mich in eine Uniform verliebte. Das Klischee, wonach Frauen Uniformen begehren, weil diese einem Männerkörper etwas Entschlußfreudiges gäben, galt nicht für Mädchen meiner Generation. Wir nahmen ihnen die Uniformen ab und zogen sie selbst an. Wir trugen als erste Jacketts, die dem Offiziersrock abgeschaut waren. Wir trugen Epauletten auf unseren Blusen und darüber einen Trenchcoat mit Baskenmütze. Im übrigen gingen alle Männer

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