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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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– als Consenior sein Untergebener bei der Mensur – weiter das Wort führte. Der Otter trug einen Waffenrock, der an ihm fehl am Platz wirkte. Da war ich mir sicher, daß meine Gefühle nichts mit der Uniform zu tun hatten, sondern mit dem Mann, der da hineinpaßte wie ein Säbel in die Scheide.
    »Auf unserer Seite wird Herr Wolf, Arzt in Ausbildung, die Aufgabe des Paukarztes erfüllen. Da es diesmal nur zwei Paukanten sind, haben wir uns zu einer Partie von fünfzehn Gängen entschlossen, vier Hiebe pro Gang. Wie Sie alle im Comment nachlesen konnten, sind sowohl tiefe als auch hohe Hiebe erlaubt. Wir vertrauen uns dem Urteil des Unparteiischen an. Hoch, bitte!«
    Lauter Applaus. Mit dem Unparteiischen war nicht Gott, sondern der Gestauchte gemeint, der jetzt in die Saalmitte stiefelte, als wäre auf einmal große Eile geboten. Die Paukanten wurden im Abstand einer Waffenlänge voneinander postiert. In ihrem Schatten erschienen die Sekundanten, die genauso eingepackt waren wie ihre Schützlinge und ebenfalls bewaffnet. Die Korbschläger wurden in Spiritus getaucht. Zum Schluß wurden den Teilnehmern Stahlbrillen vorgebunden, die ihre Augen schützen sollten, ihre Sicht aber nicht gerade verbesserten. Vielleicht spielte dieses Sinnesorgan keine Rolle mehr, jetzt, da sie so dicht voreinander standen. Je größer der Abstand, um so gröber die Verletzungen. Hiebe aus der Nähe führen vornehmlich zu Kopfwunden, mit Narben, die sich erst dann bewundern lassen, wenn die Paukanten später, als Alte Herren, ihr Haar verlieren. Meinem Vater zufolge heilen Narben am Kopf gut. Der Schädel hält die Haut straff, sagte er. Dagegen sei das Nähen eines ausgerissenen Mundwinkels eine Geduldsarbeit. Zuviel Fleisch auf der Nadel ziehe das Gesicht für immer in eine Grimasse. Es sei jammerschade, wenn der Teilnehmer an einem solch ernsten Ritual fortan mit einem Clownsgesicht durchs Leben gehen müsse.
    Zweifellos vergleichen nicht wenige Zuschauer die Mensur mit einem Hahnenkampf. Dieses Gewurstel. Erwachsene Kerle in Hockstellung, voll beschäftigt, zwei Geschöpfen zuzusehen, die nicht anders können, als aufeinander loszugehen, bis Blut fließt. Die beiden Burschen waren nicht mehr als Wangen, Kinn, Kopf. Bluten würden sie, aber nicht verbluten. Die Lederlappen wurden fester um ihre Hälse gezurrt. Der Kampf konnte beginnen.
    »Fräulein, haben Sie auch Weißbrot mit Schmalz?«
    Der Otter deutete auf das Tablett, auf dem zwei armselige Stücke Roggenbrot übriggeblieben waren. Ich erkannte, wie falsch es gewesen war, als erstes die Studenten zu bedienen, jetzt mußte ich im entscheidenden Moment zurück in die Küche. Bevor ich den Saal verließ, sah ich noch einmal zum Meister. Ich hatte mich nicht geirrt. Irgendwie tat es mir leid. Schwermut überkam mich, wie bei einem Abschied. Abschied vom Träumen. So wie ein Kind an seinem ersten Schultag begreift, daß es zum Alltag verurteilt ist. Meiner Mutter zufolge habe ich damals, sechs Jahre alt, bepackt mit meiner roten Schultasche, bedripst geseufzt: »Ach, wäre ich bloß nicht so groß geworden.«
    Leni sah es. Sie blickte mich prüfend an und fuhr sich mit dem Handrücken durch die Achseln. »Geht’s? Dusiehst so rot aus wie ein Kardinal. Setz dich ruhig hin, ich hätte dich warnen müssen.«
    »Ich fühle mich prima«, murmelte ich, »sie haben noch nicht angefangen. Sie wollen Weißbrot mit Schmalz.«
    Sie hörte es nicht. Über einer Schüssel murmelte sie schreckliche Zauberformeln: »Halb so viel Fett wie Fleisch, doppelt so viel Fett wie Blut, halb so viel Blut wie Fett.«
    Der Gestank war bestimmt nach außen gedrungen, die Hunde begannen zu jaulen. Es kam noch schlimmer. Außer dem Kopffleisch wurden noch ein halber Liter Blut, Nierenfett und ein Pfund Buchweizenmehl zu der Masse gegeben. Danach setzte Leni ihr volles Gewicht ein, um die obskure Mischung gut durchzukneten. Kräftig walkend stand sie an der Anrichte, bis sich alles rot färbte: die Füllung, ihr Gesicht und die Luft vor meinen Augen. Währenddessen mußte ich zusehen, wie ich das Schmalz auf die Brote kriegte.
    »Geh nur zurück in den Saal«, sagte Leni. »Sieh dir den Zirkus nur an. Nicht, daß es sich lohnt. Wo ich herkomme, da schlagen wir einfach drauflos, wenn wir in unserer Ehre angegriffen werden. Deine Frau beleidigt? Da!« Sie zog eine verschmierte Faust aus der Schüssel. »Ehrliche Handarbeit, mitten auf der Straße. Die da oben schlagen sich heimlich, weil die einfachen Leute nicht

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