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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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etwas ins Ohr – hatte der Junge etwa noch nie mit dem Florett gefochten? Das versprach ja einiges. Ich konnte mit einem direkten Angriff eröffnen. Einfach der erste sein, direkt aufs Ziel los. Zu viel abwartendeBeinarbeit wirkte manchmal lähmend. Wenn er parieren würde, dann grob, und ich würde unter seiner Waffe hindurch vorschnellen. Tiefe Stöße, darin war ich gut. Hier und da ein langer Ausfall à la Helene Mayer, darauf wüßten sie keine Antwort. Der Meister erteilte noch immer Instruktionen. Ich riß mir die Maske vom Gesicht.
    »Meister, wir haben schon gegrüßt. Ich warte auf Ihre Erlaubnis.«
    »Geduld«, sagte der Meister. »Das ist kein Wettkampf, sondern ein Übungsgefecht. Fünf Treffer, dann wechseln. Fertig? Los!«
    Es klappte. Der Trottel parierte meinen direkten Angriff zu spät – 1:0. Ich spazierte entspannt auf meinen Platz zurück. Der Meister zeigte keine Reaktion, gab uns nur das Zeichen, fortzufahren. Diesmal tänzelte mein Gegner auf der Bahn vor und zurück, typische Beinarbeit eines nervösen kleinen Säbelfechters, die ihm wenig nützte. 2:0 nach einem Stoß unter seiner Waffe hindurch.
    »Na los, Fritz«, hörte ich hinter mir. Fritz also. Nur zu, Fritz: 3:0, ein glänzender Finte-Schritt-Ausfall. Den vierten Punkt machte ich durch einen Stoß nach einem Kreistransport, die Waffen verflochten sich, ich parierte, Treffer. Fritz begann wieder zu tänzeln. Auf Zehenspitzen, wie ein Boxer. Es machte mich nervös. Ich fand, daß ich gut focht, viel schöner als er, doch der Meister ignorierte das. Da wurde ich am Brustbein getroffen. Der Schmerz dröhnte mir durch alle Knochen. Fritz entschuldigte sich nicht. Er tänzelte weiter, obwohl noch nicht »Los!« gerufen worden war. Der Meister sagte nichts dazu. Er hatte es eilig, die Zwillinge auszuwechseln, um seinen blödsinnigen Plan durchzuführen.
    »Los!«
    Ein heftiger Stoß auf meinen Oberschenkel: ungültig. Wieder tänzelte er herum. Mir hämmerten die Schläfen. Jetzt mußte ich ruhig werden, zusammen mit der Luft meine Wut ausstoßen, sonst verlor ich meinen Vorsprung. Das war mir oft genug passiert: Niederlage durch Empörung.
    »Los!«
    Parade, Riposte auf seinen Bauch: 5:1. Ich kauerte nieder, um mir das Schlüsselbein zu massieren, während Friedrich Siegbert die Waffe übergab. Der Meister begann wieder zu flüstern. Aus seinen Gesten schloß ich, daß er ihm riet, tief zu stoßen. Mit der flachen Hand deutete er auf meinen Rumpf. Als schlüge er ein Kreuz, teilte er mich in vier Teile. Genauso wie die bleiche Hand mit dem Schlachtermesser in seinem Kochbuch. So trennen Sie die Schulter vom Vorderbein. Doch das ist beim Florettfechten nicht erlaubt. Meine Gliedmaßen nützten ihnen nichts, die zählten nicht. Sah der Meister mich nur als Trefffläche oder sah er, daß ich unter meiner Jacke keinen Brustschutz trug, daß ich dort bereits naß war vom Schweiß? Siegbert focht besser als sein Bruder. Ich verjagte den Gedanken, daß ich mich vielleicht besser in ihn verlieben sollte, doch es war schon zu spät: 5:2. Fertig? Nein, noch nicht. Von Bötticher hatte noch etwas zu flüstern. Wieder diese Hand, die auf meinen Körper zeigte. Ich streckte mich, die Haut spannte sich über meinem Brustbein. Das gab einen ordentlichen Bluterguß.
    »Los!«
    Was dann folgte, kann ich nur versuchen zu beschreiben. Ich habe es nicht bewußt miterlebt. Ich sah, wie meine Waffe die seine kreuzte, allerdings als Zuschauer, im Spiegel. Ich war nicht beteiligt. Ich hörte eine Menge Eisen auf Eisen schlagen, es klang dumpf, weil mir das Blut in den Ohren rauschte. Die andere focht gut. Sie griff nicht mehr an, fand sich damit ab, daß er traf. Hart zwischen die Rippen. Gute Handarbeit, diese andere. Kein überflüssiges Getrippel auf der Bahn. Sie taumelte zurück, war sie müde? Ein Peitschenhieb auf ihren Arm, ungültig. Los! Abstand wahren, gut, aber jetzt stand sie schon fast an der hinteren Grenzlinie. Treffer, den hätte sie leicht parieren können. Zurück auf die Plätze. Fertig, los! Schon wieder, warum? Sie machte nicht mehr mit. 5:5. Ja, das hat man davon. Ich wollte nichts mehr sehen. Mir wurde rot vor den Augen.
    Als ich sie wieder aufschlug, sah ich das geflochtene Elektrokabel, auf das ich schon seit einer Woche starrte. Es wucherte über die gepuderte Decke in meinem Zimmer und entfaltete sich an einem Tapetenstoß zu einer Wandlampe, die mit ihrer ovalen Holzfassung einem Fotorahmen glich. In den Sekunden zwischen Erwachen

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