Die niederländische Jungfrau - Roman
und Erkennen erschien auf dem Mattglas, in das eigentlich eine schlichte Verzierung eingeätzt war, ein immer wieder anderes Bild. Diesmal war es ein Mädchen mit einem Strohhut, das eine Hand hielt, die genau bis zu ihrer Schulter reichte. Die »Preußin« aus Herzogenradt, die mich im Garten hinter ihrem Haus gefunden hatte, wußte, zu wem ich gehörte. Sie hatte mir die Hand gegeben und war mit mir über die Straße gegangen, in die Niederlande. Meine Tante war außer sich vor Sorge. Ich sehe sie noch dahocken, Tränen kullerten ihr über die Wangen, an jedem Arm zerrte eine Nachbarin: »Woa is mie kling me-edsje, iech krepeer!«
Ich mußte nur meinen Verstand zusammennehmen, um das Mädchen mit dem Strohhut verschwinden zu lassen. Jemand hatte mich auf mein Bett gelegt, das war eine Feststellung, die wichtiger war. Ich richtete mich auf, um meinen Fechtanzug abzustreifen. Es tat weh. Meine Brust glühte, als drücke jemand mit einem scharfen Fingernagel darauf. Noch war nichts zu sehen. An meinem Oberschenkel hingegen war ein roter Fleck, der sich bereits mit Blut füllte. Sie hatten die Schüssel mit Wasser gefüllt. Der Dampf verschwand auf dem Weg zum Balkon im Sonnenlicht. Die Temperatur war genau richtig. Die Tauben waren wieder da, woher auch immer; ihr Getrippel über mir klang, als hätten sie einander viel zu erzählen. Nur eine saß auf dem Balkon und schaute mir aus einem tieffarbigen Auge heraus zu, das eigentlich dazu gemacht war, kilometerweit peitschendem Wind und greller Sonne zu widerstehen. Ich seifte meine Schenkel ein und fragte, wo sie gewesen sei. Sie flog nicht weg, als ich triefend von Seifenwasser den Maschendraht beiseite bog und auf den Balkon hinaustrat, ihr Federkleid berührte meinen Fußknöchel. Ich sah, wie der Meister das Landgut verließ. Sogar aus dieser Entfernung fiel auf, wie unregelmäßig und zornig sein Schritt war. Hinter dem Tor wandte er sich nach links. Ich trat weiter vor, weil ich sehen wollte, wohin er ging. Doch während ich meinen ermatteten Leib an der Steinbalustrade kühlte, verschwand er aus meinem Blickfeld. Ohne mich abzutrocknen, zog ich mein Kleid an, schlüpfte in die Schuhe und machte mich an die Verfolgung. Ein direkter Angriff, das lag mir. Was er von mir wolle. Ob ich noch Unterricht von ihm bekommen würde, oder fungierte ich lediglich als Stoßkissen für die Zwillinge? Ob er es gewesen sei, der mich nach oben getragen habe, als ich umgekippt war?
Draußen fing ich an zu rennen. Ohne Scham, ohnemeine Kräfte zu schonen, so wie Kinder rennen. Lange Antilopenschritte mußte man machen, dachte ich früher, und sich an der Luft hochziehen, während man die Fäuste öffnete und schloß. Doch kurz vor dem Wald, in dem von Bötticher verschwunden war, mußte ich langsamer machen. Von der Straße aus gab es nur einen Weg, einen sanften, geschwungenen, der mit vermoderten Kiefernadeln übersät war. Ich mochte den Wald nicht. Waldspaziergänge wurden bei uns zu Hause nie um des Vergnügens willen unternommen, sondern um Kräche festzustampfen. Mein Vater schritt vorneweg, meine Mutter beschloß, zurückzufallen, ich folgte geräuschlos, so wie man durch ein Haus geht, in dem man nicht willkommen ist. Auch jetzt kam mir der Wald ungastlich vor. Unter meinen Füßen war alles verschimmelt und rott, während über mir die Stämme knarrten und, um mich zu ärgern, kleine Zweige fallen ließen. Er war so dicht, daß die Sonne nur sporadisch durchdrang, wie ein Suchscheinwerfer. Die Singvögel von Raeren waren nicht hier. Nur ein Specht ließ sein trockenes Rattern hören, ein verdorrtes Geräusch. Dies war keine blühende Natur, sondern eine Ruine, sogar der Weg führte ins Nichts. Ich hatte die Wahl, zurückzukehren oder zwischen den Bäumen weiterzulaufen. Dort war lange niemand gegangen. Die vertrockneten Blätter hatten sich aufgehäuft, und bei jedem Schritt sank ich mit einem pulvrigen Säuseln ein. Ein würziger Geruch stieg daraus auf, nicht unangenehm. Schließlich kam ich zu einem Hohlweg. Eine schwarze Rinne, in der vielleicht einmal Wasser geströmt war, jetzt aber nur Baumwurzeln nach einem Ausweg suchten. Ein Stück weiter führte der Weg steil nach oben, ins Unterholz, hinter mir hatte sich der Wald unerkennbar verändert. Ich hatte mich verirrt. Ichbeschloß, dem Weg nach oben zu folgen, doch das Flußbett wurde immer tiefer, wodurch ich den Eindruck hatte, wegzusacken, obwohl ich aufwärts kletterte. Rennen ging nicht. Die Baumwurzeln waren
Weitere Kostenlose Bücher