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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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war angelehnt, ich kam nicht dran. Böse war ich ums Haus gelaufen, um zu schauen, ob ich durch sein Schlafzimmerfenster hineinklettern konnte,aber das saß hoch in der Wand, wie eine Guillotine. Während des Essens hatte Julia von Maria Stuart angefangen.
    »Als Maria Stuart enthauptet wurde, blieb das Beil im Knochen stecken«, sagte sie, während sie ein Hühnerbein am Gelenk auseinanderdrehte. »Der Henker wollte ihr mit einem Schlag den Hals durchtrennen, stieß aber auf einen Knorpel. Muß ziemlich blöd sein.«
    »Und dann weißt du wahrscheinlich auch«, hatte Egon bemerkt, »daß sich ihre Lippen noch eine Viertelstunde lang weiterbewegten, nachdem der Kopf abgetrennt war. Ihr Frauen redet zuviel.«
    »Ach, tatsächlich?« Sie hatte mir zugezwinkert. »Nicht alle. Das Mädchen hier, von der hört man doch kein einziges vernünftiges Wort. Oder kommt das daher, weil sie noch keine Frau ist?«
    Und sie hatte sich über den Hals gestrichen, die Finger fettig vom Hühnerfleisch. Egon mußte grinsen. Ich wäre ihr fast ins Gesicht gesprungen. Meine Hände um ihren Vogelhals.
    Oben war das Lied vom Eintänzer zu Ende, man hörte lautes Lachen. Jemand nannte meinen Namen. Ich flüchtete in die Küche. Dort war es kalt und dunkel. Im Mondschein sah ich auf dem Schlachtblock die Gerippe der Hühner, die wegen des unerwarteten Gastes im letzten Moment beim Wickel gepackt worden waren. So spät noch. Sie waren empört, die Köchin und die Hühner. Leni hatte eine Weile nachgedacht, mit dem Schlüsselbund in ihrer Schürze gerasselt und war sie dann holen gegangen. Sie brach ihnen das Genick, rupfte sie beidhändig, praktizierte gehackte Nüsse unter die Brusthaut, rieb sie mit Salz und Butter ein und schob sie in den Ofen. Eine Stunde. Während das Unwetter auf die Fenster eindrosch, verwandelten sich zwei Stücke Federvieh in das goldbraun gebratene Geflügel, das alle in die Küche lockte. Dort war es gemütlich geworden. Das Feuer wurde geschürt, Leni zog ihren Brotherrn vom Essen weg, dem es aber trotzdem gelang, ein Stück abzuzupfen und Heinz zu ermuntern, es ihm nachzutun. Noch bevor wir die Hühner in den Saal trugen, war eines bereits zur Hälfte verschlungen. Es war ein Moment, in dem alles gut werden konnte: sieben Leute, anderthalb Vögel, klirrende Gläser in unseren Fingern, Gekicher auf der Treppe. Niemand sprach über die Zukunft, alle schwiegen über die Vergangenheit, wir wollten essen, und so ungeschickt, wie wir die Stufen hinaufpolterten, waren wir allesamt Kinder. Dann aber zündete der Meister die Kronleuchter im Saal an, und die Stimmung schlug um. Der Fußboden war frisch gebohnert. An der Wand blitzten die Waffen. Wer sich im Spiegel begegnete, straffte den Rücken.
    »Ich hab die Kartoffeln vergessen«, hatte Leni gesagt, als sie rückwärts aus dem Saal ging. Heinz stand noch auf dem Flur. Er kam nie in den Fechtsaal, das Reich der Mensur, von der er höchstens begriff, daß es eine sehr exakte Kunst war, so exakt, daß drei Augenpaare nicht genug waren, auf die Einhaltung der Regeln zu achten. Sein Kampf fand im Garten statt, wo es keinen Sinn hatte, die Dinge zu messen. Er hatte nicht im Griff, was dort wucherte, wo und wann, und schimpfte auf die Natur, die schneller war als er. Doch vor dem Fechtsaal hatte er tiefen Respekt. Die einzige Ordnung, in die er je eingegliedert gewesen war, war die des Fließbandes, und so machte er noch jede Woche einen kleinen Spaziergang zur Fabrik.
    »Ich erwarte, daß ihr uns beim Essen Gesellschaft leistet«, hatte Egon gesagt, »es ist genug da für alle. Setz dich, Heinz.«
    Heinz war auf das Parkett getreten, als würden seine großen Schuhe darin versinken. Er packte den Stuhl, den ihm sein Brotherr angeboten hatte, und nahm vorsichtig Platz.
    »Früher waren meine Spielkameraden auch ganz normale Kinder aus dem Dorf«, sagte Julia plötzlich. Sie hatte mit sich selbst gesprochen, im Spiegel. »Einfache Dorfkinder, mit denen haben wir gespielt. Wir haben sie als Soldaten verkleidet. Mama hatte maßgeschneiderte Uniformen für sie anfertigen lassen. Graugrüne Waffenröcke, Landeskokarden an den Mützen. Richtig niedlich haben sie ausgesehen. Mein Bruder und ich, wir saßen zu Pferde, und sie marschierten hinter uns her. Als der Krieg ausbrach, hat die kleine Lydia das gleiche gemacht, aber da hatte Mama die Uniformen durch die moderne Ausstaffierung ersetzen lassen. Das Schätzchen trug eine kleine Pickelhaube und genau die gleiche Patronentasche

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