Die niederländische Jungfrau - Roman
wie du, als du damals ins Feld gezogen bist, Egon, mein Fahnenjunker! Ach, hatten wir einen Spaß!«
Leni band sich langsam die Schürze los, ich horchte auf wie ein Hund, als ich die Schlüssel hörte. Als sie mit der Bratenschale zurückkam, trug sie keine Schürze mehr, aber in der Küche konnte ich sie nicht finden. Es war sehr dunkel. Der Mond schien vorsichtig herein, und im Herd krochen kleine Flammen an den Rändern eines Holzklotzes entlang. Gastrosophie . Das Buch lag neben dem Spülstein, aufgeschlagen. Leni hatte danach gekocht. Das Rupfen, Einreiben, Füllen der Hühner, das Herausreißen ihrer Beine und Abdrehen der Flügel – war das Gastrosophie? Die aufgeschlagenen Seiten zeigten ein ausgebeintes Rind. Die strenge Hand, die demonstrierte, wie man vorzugehenhatte. Mein Vater hatte sich mit einem Schlachter aus der Nachbarschaft angefreundet. Ein ernster Mann, der nie Scherze über seine Arbeit machte, nicht wie mein Vater oder andere Ärzte, die zu uns zu Besuch kamen, niemals. Leo hatte schlaflose Nächte, wenn er fürchtete, es könnten sich Luftlöcher in einen Schweinedarm geschlichen haben, weshalb er die Wurst nicht würde anschneiden können. Er hätte das Leidenschaft genannt. Welches Tier aber zerteilt seine Beute so wohlüberlegt wie der Mensch? Metzeln nicht alle Tiere einander als Ganzes, heftig, die Augen vor lauter Emotion blutunterlaufen?
Ich schlug das Buch zu. Vielleicht hatte Leni ihre Schürze ja in der Kammer aufgehängt, die etwas höher, im Halbgeschoß, lag. Ich wußte, daß sie viel Zeit hinter der kleinen Tür neben der Spüle verbrachte, daß dort eine Laterne hing, die ich anzünden müßte, doch weiter als bis zu den ersten Stufen, wo die Zwiebeln hingen, war ich nie gekommen. Es roch dort würzig. Auf einem Regalbrett an der Wand lag ein aufgeschlagenes Buch auf den Weckgläsern, ein Frauenroman der Baronesse von Eschstruth. Am Ende der Treppe stieß ich auf einen Korb mit Kartoffeln, von denen die obersten formlos und grau geworden waren, wie ein Haufen Trunkenbolde. Langsam gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit. Ich sah einen großen Kabinenkoffer mit Büchern, alle feucht und krumm, einen Spiegel, dem ganze Stücke seines Silbers fehlten, einen Kasten mit rostigen Säbeln und einen ausgestopften panischen Hasen mit einem Loch im Rücken. Ich wollte mich schon wieder umdrehen, als ich in der Ecke eine magere Gestalt wahrnahm. Wenn man den eigenen Atem nicht mehr hören kann, weil das Herz zu laut hämmert, sollte man besser weitergehen. Wie damals, als ich auf einemdunklen Hohlweg zum Haus meiner Oma gehen mußte. Ich beschloß, nicht zu erforschen, woher diese schlurfenden Geräusche kamen, ich wollte nicht sehen, was genau diese weißen Umrisse waren. Doch Neugier verfolgt einen viel länger als Angst. Ich blieb noch monatelang auf der Suche nach diesem vagen Bild am Wegesrand und sah es nie wieder. Jetzt hielt ich die Laterne höher. Die Gestalt entpuppte sich als Garderobenständer, an dem ein einziger Gegenstand hing: Egons Totenkopfmütze. Von oben ertönte wieder schallendes Gelächter, es kam näher, anscheinend verließen sie den Fechtsaal. Die Zwillinge riefen meinen Namen. »Es ist nur für eine Woche«, hörte ich Julia sagen, »laßt das Mädchen in Ruhe.«
Das Fell roch angenehm, fühlte sich weich an auf meiner Stirn. Als ich den Spiegel aufhob, erkannte ich sie sofort: die Tochter des letzten Kaisers. Das gleiche Bild wie das in der Zeitschrift. Dieses leicht spöttische, überhaupt nicht verlegene Gesicht zwischen Totenkopf und betreßtem Kragen, die behandschuhte Prinzessinnenhand in die Seite gestemmt. Ein Verkleidungsspiel, ähnlich wie jenes, mit dem Julia sich als Kind amüsiert hatte. Adlige Damen, die sich aus Querköpfigkeit, Langeweile oder Groll einen Scherz mit dem Krieg ihrer Männer erlaubten. Ich nahm die Mütze ab, inspizierte die Innenseite. Im Saumband entdeckte ich einen vagen Fleck, vielleicht Blut. Brauchten sie das, die Frauen, die ihren Männern zum Abschied gewinkt hatten? Trugen sie deshalb Kleidung, die dazu bestimmt war, in ihr zu töten und zu sterben? War diese Faszination nicht auch der Grund, weshalb ich mindestens einmal mit einem dieser messerscharfen Pariser aus dem Saal fechten wollte – um zu wissen, wie es sich anfühlte, den Tod in der Hand zu halten? Ich löschte die Laterne und verließ die Kammer. Den Geräuschen nach zu urteilen standen alle draußen, außer Leni, die das Geschirr im Spülstein
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