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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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wird’s nicht mehr dauern. Vier Jahre, allerhöchstens.«
    Egon setzte eine bedenkliche Miene auf.
    »Der Vierjahresplan, Herr von Bötticher. Vor einem Monat, hat uns der Führer versprochen. Vier Jahre, hat er gesagt, um unser Land wieder auf die Beine zu bringen. Armee, Wirtschaft, Frieden und Wohlstand.«
    »Mein Mann sagt, dafür reichen zwei Jahre«, meinte Julia. »Er sagt, wenn wir so weitermachen, sind wir in zwei Jahren das reichste Land Europas.«
    Egon nahm eine Walnuß aus seinem Mund. »Warum diese Eile? Vier Jahre sind schnell vorbei. Das müssen Sie doch wissen, Frau von Mirbach. Vier Jahre, Sie wissen doch noch? Ein bißchen Geduld hat noch nie jemandem geschadet.«
    Als Julia näher schlich, sah Egon mit der Verwunderung eines Menschen auf, der soeben im Dickicht seines Gedächtnisses wieder auf etwas Wichtiges gestoßen ist. L’Heure Bleue. Duft überfällt einen mit Erinnerungen, dagegen ist man machtlos.
    »›Ich hab’ kein Auto, ich hab’ kein Rittergut!‹« las Siegbert laut. »Ich glaube, das ist ein nettes Lied.«
    »Nein«, sagte Julia. Sie schob ihn auf die Seite. »›Lieber kleiner Eintänzer‹. Ich will das Lied vom Eintänzer hören. Hier.«
    »Aber du wolltest doch was Fröhliches, Mama.«
    Sie brauchte nur eine Braue hochzuziehen. Siegbert nahm ihr die Platte aus den Händen und ließ die Nadel mitten auf das Bakelit fallen, so daß die Melodie mit herzzerreißendem Krachen durch den Saal schallte.
     
    Lieber kleiner Eintänzer
    Sei doch heute mein Tänzer
    Denn es paßt doch kein Tänzer
    So gut wie du.
    »Ein ordinäres, vulgäres Lied«, bemerkte Egon. Er sah mich eindringlich an. Ich kannte diesen Blick, er war auf dem besten Wege zur Trunkenheit. »Ein Eintänzer. Janna weiß bestimmt nicht, was damit gemeint ist.«
    »Laß das Mädchen in Ruhe«, rief Julia, während sie sich von ihrem jüngeren Sohn an die Hand nehmen ließ. Leni räumte mit viel Radau den Tisch ab. Heinz blieb sitzen, das leere Glas in der Faust wie einen Stein. Ich mußte weg, mein Blick wurde zum Tanzpaar gesogen. Friedrich kannte Tango. Er führte seine Mutter am Tisch entlang, so daß wir sie begutachten konnten. Ihre glänzende, gut entwickelte Hinterhand, ihre in weiße Strümpfe eingepackten Hufe, die seine im Vorbeigehen streiften. Sie verbarg ihr Gesicht in seinem Schatten. Raffiniert. So konnte sie in seinem Alter sein. Zweifellos, diese potranca stand höher im Blut. Nicht nur ich wurde von Eifersucht verzehrt. Weiter hinten im Saal stand Siegbert, die Arme steif übereinandergelegt, als wäre ihm kalt.
     
    Wundervoll und flott tanzt du
    Wie ein junger Gott tanzt du
    Lieber kleiner Eintänzer
    Tanz nur mit mir.
     
    Egon wandte sich wieder mir zu, als sei er nicht beeindruckt. »Oder weißt du es doch? Warum manche Männer immer mit einer anderen tanzen?«
    Ich warf meine Serviette auf den Tisch und lief aus dem Saal, die Treppe hinunter. Im Flur blieb ich stehen. Jetzt standen wir uns wieder gegenüber, ich und die Tür. Ich hatte mir sieben Nächte lang die Nase an ihr plattgedrückt, so daß ich das Holz schmecken konnte, wenn ich nur darandachte. Dieser bittere, ölige Geschmack. Ich träumte sogar davon. Im Schlaf sah ich, wie das Holz an der Maserung aufriß und ich von allein in den Flur trat. Die Messingtürklinke verharrte in massivem Schweigen. Ich brauchte es gar nicht erst zu versuchen. Verschlossene Räume erkannte ich von weitem, so wie man einen Toten von einem Schlafenden unterscheidet. In meiner Tasche lag der Brief, mittlerweile ein Lappen. Wenn Egon ihn je wiederfände, würde er mich riechen. Verzweifelte, verschwitzte Versuche, zu ihm durchzudringen. Wenn ich den Brief zerriß, würde ein Teil von Julia aus der Geschichte verschwinden. Sie hatte eigentlich sowieso nichts zu bedeuten, bestand lediglich aus ein paar Briefen, vielleicht einem Foto, Erinnerungen, über die nicht gesprochen wurde. Kleinkram, um den ich mich später kümmern konnte. Jetzt erst die Schürze, die Leni sich für das Abendessen abgebunden hatte. Solange die Narren von Raeren tanzten, konnte ich ruhig suchen.
     
    Lieber kleiner Eintänzer
    Sei doch heute mein Tänzer
    Denn es paßt doch kein Tänzer
    Solch Kavalier.
     
    Im dunklen Treppenhaus wurde die Musik zu einem schnarrenden Jaulen verzerrt. Ich kauerte mich hin und schaute durch das Schlüsselloch in den verschlossenen Flur. Dort schien der Mond durch die Fenster. Vor dem Essen hatte ich vom Garten aus zu seinem Zimmer geschielt. Die Tür

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