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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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gestellt, die alle bisher vermieden hatten. Letztlich war ich einfach weggeschickt worden, ohne Auftrag. Koffer gepackt, gutes Kleid angezogen, im Marschschritt mit Vater zum Bahnhof. Was wir beredeten, betraf die Hinreise, nicht die Rückfahrt. Über die Technik des Reisens sprachen wir ausführlich: von welchem Bahnsteig der Zug abfahren würde, ob wir nicht besser etwas mehr bezahlen sollten, damit ich vorwärts anstatt rückwärts fahren könnte, auf einem Fensterplatz, ob mir das Marzipangebäck für unterwegs reichen würde, was ich zu lesen mitnehmen wolle, ob die Landschaft schön sein würde. Mindestens eine Stunde lang sprach mein Vater über eine Reise von vierzig Minuten. Zum Schluß machte er mich auf das hohe Trittbrett aufmerksam, damit ich nicht stolperte. Ein Abschied wie so viele, wenn in der Eile, dem Lärm, dem Dampf nur noch die Abfahrt selbst zählt,wenn der Bestimmungsort in den Hintergrund rückt und an das, was zurückbleibt, erst gedacht wird, wenn sich der Zug in Bewegung setzt. Dann zieht auf dem Bahnsteig die Vergangenheit vorbei, winkend und überraschend klein, immer eine Stufe niedriger als der Reisende. Ich hatte beschlossen, als beste Fechterin von Maastricht zurückzukehren. Einen Monat später war dieser Vorsatz an der Liebe gescheitert, steckengeblieben in einem Rätsel, oder vielleicht hatte ich mich ja in das Rätsel selbst verliebt. Jedenfalls war es mir schnurzegal, wie ich wieder nach Hause käme.
    »Noch zwei Wochen«, antwortete Egon plötzlich. »Dann ist ihre Lehrzeit beendet.«
    Die Zwillinge stießen sich gegenseitig an. Ich blickte auf meinen Teller und sah darauf zu wenig Eßbares, als daß ich mich damit hätte beschäftigen können. Zu schnell würde er leer sein, und ich hatte überhaupt nichts zu sagen. Der Unparteiische schob seinen Stuhl brüsk zurück und begann, durch den Saal zu tigern. Er stellte Fragen, auf die er keine Antwort erwartete, zum Beispiel, ob die Niederländer beabsichtigten, im nächsten Krieg wieder neutral zu bleiben.
    »Denn das ist letztlich Unsinn, verstehen Sie. Wer mitten zwischen den Kriegführenden seine Neutralität verkündet, lebt nicht in Frieden, sondern in Erwartung einer Kriegserklärung. Man kann nicht ewig unangreifbar bleiben. Das verstehen Sie doch, oder?«
    »Ach, lassen Sie das Mädchen, was weiß sie schon davon«, murmelte der Otter.
    »Wahrscheinlich mehr, als wir hier glauben«, sagte der Unparteiische. »Im nächsten Krieg werden sie Position beziehen müssen. Und ich vertraue darauf, daß sie, die jaschließlich Germanen sind, die Vernunft besitzen, sich für den Fortschritt zu entscheiden.«
    »Auf Ihren Krieg bin ich schon neugierig, Herr Raab«, sagte Egon achtlos. »Herr Hitler hat noch nie ein Duell ausgetragen. Bismarck schon, sogar zweiundzwanzigmal.«
    Der Unparteiische blähte die Wangen und ließ dann ganz langsam die Luft heraus. Dann griff er nach der Husarenmütze, die Egon auf die Tischecke gelegt hatte. Niemand sagte etwas, als er sie um seinen Finger kreisen ließ. Nicht einmal, als er sie fallen ließ und mit der Schuhspitze wieder hochkickte.
    »Ein gutgemeinter Rat, von Bötticher: Passen Sie auf, was Sie sagen. Ich habe Sie schon früher bei solchen vaterlandsfeindlichen Bemerkungen ertappt, Sie halten mit Ihrer Kritik nicht gerade hinter dem Berg. Ich wüßte ja gern, was Sie so stört. Fangen!«
    Schwungvoll schleuderte er die Mütze zu den Studenten hinten im Saal. Der Magere fing sie und setzte sie sich gleich auf den Kopf, zur Erheiterung des anderen. Sie hatten vom Gastgeber nichts zu befürchten, der sich in der sicheren Distanz von mindestens einer ganzen Fechtbahn eine Zigarre anzündete.
    »Herr von Bötticher, was stört Sie denn so? Daß der Führer den Mumm hat, sich über Locarno hinwegzusetzen? Ja, das ist wirklich unerhört, es wäre natürlich viel besser, die Franzosen sich weiter im Rheinland breitmachen zu lassen. Besser für Bohemiens wie Sie, Kognaktrinker, Knoblauchesser. Davon hat ein einfacher Student wie ich natürlich keinen blassen Schimmer.«
    Gefeixe, jetzt lauter. Vor dem Spiegel rückte sich der Magere die Totenkopfmütze auf dem Kopf zurecht, der Unparteiische legte ihm den Arm um die Schultern undsprach zu ihrem verbrüderten Spiegelbild: »Mal überlegen, mal überlegen. Wenn es nicht das Rheinland ist, was dann? Das neue Reichsbürgergesetz etwa? Die Reichsautobahn? Oder ist es der Vierjahresplan für die Armee, an dem Sie sich stören? Ich komme nicht drauf,

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