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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Rechten, und seine neuen Untertanen werden wenig Unterschied zu früher feststellen, doch Wolfgang Wilhelm ist und bleibt sein Rivale bis in den Tod. Noch heute erregt er sich darob, wie dieser seinerzeit seine Truppen aus Düsseldorf vertrieb, einzig und allein um der Messe beizuwohnen, solch katholische Allüren! Ich schweige stets wohlweislich, wenn er mich nach meiner spanischen Vergangenheit fragt.
    Ich fürchte, daß wir uns lediglich in einem Übergangshaus befinden und beide noch den Moment erleben werden, da ein neuer Krieg um Kleve ausbricht. Dieser erzwungene Friede ist wie ein unterernährtes Kind, das den Löffel verweigert. Hier haben Waffenstillstände nie lange Bestand. Natürlich, es waren die Spanier, die Aachen als erste besetzt haben, und unser Fürst, mein erlauchter Schüler, konnte nicht zurückstehen. Vor ihm habe ich den Eid abgelegt, meine Künste einzig und allein zum Schutze des Vaterlandes einzusetzen und sie nicht dazu zu mißbrauchen, jemanden mutwillig zu erstechen. Doch wer kümmert sich noch um einen solch noblen Vorsatz? Ach, lieber Freund, das ermüdet mich alles sehr. Und wieder sind es meine Atemwege, die gegen das Fehlen von Seeluft rebellieren. Meine Lehre muß so schnell wie möglich gedruckt werden, versehen mit guten Illustrationen, denn was ich meinen illustren Schülern mit der Zunge erzähle, das hören sie nicht. So ist Johann Sigismund ein melancholischer Mann, von Gemüt sanft, aber auch sehr halsstarrig. Er fragte mich einmal, wie er lernen könne, besser zu treffen. Ich antwortete ihm, er solle sich besser mit der Wissenschaft der Unverletzbarkeit befassen. Ihr versteht meine Worte, wir haben oft darüber gesprochen.
    Geometrie ist die beste Wissenschaft für die Fechtkunst. Sie lehrt den Fechter, logisch und methodisch nachzudenken, ohne sich von Emotionen behindern zu lassen. Ein guter Fechter behält den Kopf kühl, frei von Rachegefühlen betrachtet er seinen Gegner aus der Entfernung. So ist er der Zuschauer seines eigenen Kampfes und urteilt nach der absoluten Wahrheit. Er beobachtet, wie der Wissenschaftler auf eine Rechnung blickt, übt, wie der Mathematiker sich in seiner herrlichen Kunst des Messens und Taxierens übt. Sagt selbst, wenn man die Wissenschaft beherrschte, unverletzbar zu bleiben, welchen Nutzen hätten dann noch solch emotionalen Angriffe? Wenn Ihr Eure Fechtkunst von der Beobachtung der Absichten Eures Gegners bestimmen laßt, werdet Ihr merken, daß Ihr Euch ihm nähert, weil Euer Zustand schließlich der gleiche ist. Es ist in beider Belang, gut miteinander zusammenzuarbeiten.
    Diese Materie versuche ich dem Kurfürsten stets deutlich zu machen, in der eitlen Annahme, damit einen neuen Krieg verhindern zu können. Es ist immer klüger, erst zu beobachten, bevor man Blut vergießt. Jeder Duellant sollte wissen, wie wichtig die Sekundanten sind, ihr gerechter Blick auf der Seite, der sich vom Blutdurst zweier Kampfhähne nicht trüben läßt, sondern Anmerkungen für die Nachwelt macht. Ich hoffe demütig, daß ich als Heiler der blinden Rachsucht in die Geschichte eingehen werde.
    Wer das nicht verstehen will, den verweise ich auf das Schlachthaus unter unserer geliebten Fechtschule in der Amsterdamer Nes, wo bei meiner Abreise sicherlich bereits fünfzig Schlachtbänke in Gebrauch genommen worden waren. Unser hochverehrter Meister der Mathematik, Fechtmaître vanCeulen, war so stolz auf seinen Saal über der Leidener Universitätsbibliothek, nicht wissend, daß er damit recht eigentlich die Wissenschaft unter seiner Fußsohle hielt. Wir zumindest stampften auf dem Blut der Schlachterei und waren uns bei jedem Ausfall bewußt, keine Tiere zu sein.
     
    Lebt wohl, mein besonderer Schüler, und vergeßt mich nicht.
     
    Euer Euch sehr zugetaner Maître
      Girard Thibault

1
    Egon erzählte von Thibault, als hätte er ihn persönlich kennengelernt, und von Amsterdam, als wäre das Goldene Jahrhundert dort immer noch nicht vorbei. Er war in einer Treckschute auf der Amstel gefahren, schäumende Wellen unter sich, Wolken mit Krakelüren über sich. Ein Kindermädchen hatte ihm den Weg zur Bibliothek gezeigt, in den immer enger werdenden Gäßchen hatte sie ihre Röcke gelüpft, doch er mußte weiter, vorbei an Gossengezänk und finsteren Haushalten. Zum Schluß hatte der Bibliothekar das Säckchen Silberlinge entgegengenommen, um seinen Schatz aus den Katakomben hervorzuholen. Zahnloses Grinsen, viel Spaß damit, kein Wort darüber! Das waren

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