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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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geblieben? Aufgegangen im Vorwärtsdrang der Völker, würde mein Vater sagen, der glaubte, alle Gedanken dienten dem Fortschritt. Doch als das Feuer sein Werk tat, standen wir alle, sogar Egon, nur da und starrten gedankenlos in die Flammen. Verblüffte Höhlenbewohner. All diese untergegangenen Kulturen hatten natürlich vor Ideen gebrannt – könnte man sie doch nur durch die Vernichtung neuer Dinge zurückholen. Wäre das Ende eines Dings doch nur immer der Beginn eines leidenschaftlichen Plans. Dann hätte ich dieses große Buch von ihm sofort in die Flammen geworfen.
     
    Am nächsten Nachmittag schwelte das Feuer noch immer. Durch das Küchenfenster sahen wir die schwarzen Überreste wie hartnäckiges Ungeziefer aus der Asche auffliegen. Heinz schlug mit der Faust auf die Fensterbank. Egon hatte ihm gerade erzählt, daß außer den Malern auch ein Bauer im Anmarsch sei, mit einem Traktor und einem Pflug, um den Garten zu »organisieren«.
    »Der Chef will eine übersichtliche Aussicht«, sagte er böse. »So was kann nur jemand beschließen, der noch nie einen Spaten in die Erde gestochen hat. Gärtnern ist eine Sache der Vertrauensbildung zwischen Garten und Gärtner. Als ich hierherkam, war dies dürrer Waldboden, den habe ich gefüttert wie meinen kranken Vater, Löffel um Löffel, und was macht er? Läßt einen Traktor kommen!«
    Ich wollte ihm sagen, daß es der schönste Garten sei, den ich je gesehen hätte, und daß ich ihn in diesem Spätsommer wirklich gut kennengelernt hätte, bis zu den Wurzeln des Straußgrases vor meinen Augen und der Erde in meinem Haar, aber ich sagte, daß schöne Dinge immer schneller endeten als häßliche und daß man hoffen müsse, daß die Menschen ein gutes Gedächtnis hätten, daß sie es bereuten und zugäben, daß alles eigentlich sehr schön gewesen war. Da hörte ich Heinz schmatzen, als versuchte er, etwas hinunterzuschlucken. Ich schaute zu ihm und sah, daß es Tränen waren.
    »Etwas ist in ihn gefahren, da in Amsterdam«, sagte er. »Weiß der Himmel, was er in deiner Hauptstadt getrieben hat. Man hat mir erzählt, wie verflucht dieser Ort ist. Es scheint das reinste Judennest zu sein, und dazu noch Hafenvolk und Huren.«
    Ich dachte an den Sommer 1928 zurück, das einzige Mal, daß ich dort gewesen war. Wir teilten uns eine Kraftdroschke mit zwei Fremden, das war billiger als die Straßenbahn, doch vor dem Stadion steckten wir plötzlich im Gedränge fest. Ich saß neben einer blonden Frau, die Tabak kaute. Als die Straßenhändler an den Autos entlanggingen, kurbelte sie das Fenster herunter und spuckte ihren Priem auf einen Kerl mit einem Schifferklavier. »Mach hier kein sonnen Aufstand, wo wir doch ins Stadion müssen!« Der Straßenmusikant streckte seine Hand ganz ruhig herein und zog sie, eine Perücke zwischen den Fingern, wieder hinaus. »So, Puppe, und jetzt kauf mir ein Lied ab.« Wir wußten nicht, wie wir reagieren sollten, doch die Frau, kahl bis auf ein schwarzes Haarbüschel, kugelte sich vor Lachen. Das ist Amsterdamer Humor, sagte mein Vater.
    Heinz rührte sich nicht, als das Ding auftauchte, das sein Werk zerstören sollte.
    »Ein Lanz Bulldog«, stellte er fest. Mit roten Augen starrte er auf den Glühkopfmotor, der spähend über das Gitter ragte. Als Egon endlich das Tor öffnete, fuhr das Ding eintaktig blaffend herein, drehte ein paar Runden auf dem Rasen und ließ mit grauenhaftem Rasseln den Pflug auf die Rosensträucher fallen. Heinz lief weg und ließ sich erst drei Tage später wieder blicken, als der Garten eingeebnet war und Raeren mit seinen aschgrau tapezierten Wänden und den weißlackierten Türen, dazwischen nur das Allernötigste, einem Sanatorium glich.
    »Der Chef hat endlich einen vernünftigen Beschluß gefaßt«, sagte er zu Leni. »Das Schwein. Der Schlachter kann jeden Moment hier sein.«
    Der Dorfschlachter war ein Mann von makellosem Erscheinungsbild, man mochte kaum glauben, daß er mit dem offenen Wagen acht Kilometer durch den Regen gefahren war. Er trat in die Küche, wo das Wasser bereits in Wannen auf dem Feuer stand, schob seine Gerätschaftstasche unter den Tisch und ließ sich mit einer Miene auf einen Stuhl fallen, als besuche er eine Kneipe. Eigentlich traf das auch zu, da der Schnaps, den Leni ihm kredenzte,eine selbstverständliche Begleiterscheinung seines Berufs war, und auch ein zweites Glas schlug er nicht aus, denn »auf einem Bein kann man nicht stehen«. Trotzdem war er nicht bäurisch. Er

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