Die Nomadengott-Saga 03 - Die Weltenbaumler
Hof verschwindet!«
Der Missionar zerrte den stöhnenden Torarin auf die Bahre, dann führte er seinen wieder erwachten blinden Anführer an das eine Ende und begab sich selbst zum anderen. So stolperten die Missionare unter den wachsamen Augen aller vom Hof. Hati und Skalli verfolgten die drei in Sprungdistanz.
*
Die Vorräte, die ihm die beiden Zwerge mitgegeben hatten, waren längst aufgebraucht, und so musste sich Seshmosis wohl oder übel in ein Dorf wagen, wenn er nicht verhungern wollte. Außerdem beschlich ihn eine Unsicherheit, ob er sich überhaupt noch auf dem Weg nach Keflavik befand. Vom Meer war weit und breit nichts zu sehen, und er besaß keinerlei Orientierung, welchem der widersprüchlichen Wegzeichen er folgen sollte. Und in welche Richtung.
Der quälende Hunger machte Seshmosis mutig, er ignorierte sein Aussehen und ging entschlossen auf das größte Haus der Siedlung zu, um dort nach etwas Essbarem zu fragen.
Der kräftige Krieger, der den Eingang bewachte, musterte den Schreiber kurz, dann bedeutete er ihm zu warten. Der Wikinger verschwand im Innern, und Seshmosis hörte ihn rufen: »Ein Berserker steht vor der Tür und verlangt nach einem Mahl. Er ist unbewaffnet.«
Eine tiefe Stimme antwortete Unverständliches, der Wächter kam wieder heraus und gab dem Schreiber das Zeichen einzutreten.
Erleichtert ging Seshmosis hinein. Er verneigte sich zum Gruß vor dem Hausherrn auf seinem thronartigen Hochsitz neben dem Kamin. Mehrere Männer saßen an einem langen Tisch, und Seshmosis nahm an dessen Ende im dunkleren Teil des Raumes Platz.
Bald brachte ihm ein junges blondes Mädchen eine dampfende irdene Schüssel mit einem Holzlöffel. Das Essen war undefinierbar, vielleicht gekochte Rinde und Fleisch von irgendwas, doch es war heiß und füllte den Magen. Das dazu gereichte gesüßte Bier erinnerte Seshmosis an Ägypten. Jugenderinnerungen stiegen in ihm auf; er schloss die Augen und gab sich dem wohligen heimatlichen Gefühl hin.
Bis ihn eine Stimme jäh aus den Träumen riss.
»Hat dich ein Gott verflucht oder bist du ein Halbling?«
Seshmosis sah auf. Ihm gegenüber saß ein Mann von ausgesprochener Hässlichkeit. Der schielende Alte erinnerte ihn an Nostr'tut-Amus, nur dass bei dem Fremden alles noch abstoßender war als bei seinem Freund. Eine Nase wie ein Adlerschnabel, Ohren groß wie Teller und Finger wie Spinnenbeine.
Mit Mühe versuchte Seshmosis seine Abneigung zu unterdrücken und fragte angestrengt freundlich: »Was ist ein Halbling?«
»Ein Mischling. Mit Zwergenmann und Menschenfrau als Eltern. Meist schlägt der Gestaltwandler schrecklich durch, und es kommt bei den Kindern immer wieder zu spontanen Anfällen von Verwandlung. Wie bei dir.«
»Ich verwandle mich nicht spontan. Ich sehe immer so aus. Zumindest seit einiger Zeit«, korrigierte der Schreiber.
»Kein Mensch sieht so aus. Wer bist du?«
»Das Ganze war ein kleiner Unfall. Ein Zwergengeschenk, das nicht ganz so funktionierte wie geplant.«
Der Alte lachte schallend. Die Augen aller im Raum richteten sich auf das merkwürdige Paar am Ende des Tisches. Doch da es nichts weiter zu sehen gab, wandten sie sich schnell wieder ihren Unterhaltungen zu.
»Du bist etwas Besonderes. Was treibt dich in diesen Winkel der Welt?«
»Ich bin ein einfacher Schreiber aus Ägypten, der jetzt in Byblos lebt. Hier bin ich, um einen Verwandten zu besuchen.«
»Ein Schreiber, so, so. Dann bist du sicher ein kluger Mann. Ich will dir ein Rätsel aufgeben. Wenn du es löst, sollst du dieses Goldstück als Belohnung erhalten.«
Mit diesen Worten hielt der Fremde wie von Zauberhand eine verlockend glänzende Münze zwischen den Fingern.
»Und wenn ich es nicht errate?«, fragte Seshmosis misstrauisch.
»Dann gehört dein wunderschöner grauer Pelz mir.«
Seshmosis würde sich hüten, auf so einen Wahnsinn einzugehen. Niemals würde er seine Haut für ein lumpiges Goldstück riskieren. Er war schließlich nicht spielsüchtig wie dieses Eichhörnchen, das behauptete, sein Nachkomme zu sein. Er war doch nicht verrückt, sich mit einer zwielichtigen Gestalt in einem schummerigen Raum auf ein solches Spiel einzulassen. Nichts und niemand konnte ihn dazu bringen, sich das Fell abziehen zu lassen. Entrüstet sagte er: »Gut, die Wette gilt!«
Das Gesicht des Alten verzog sich noch mehr zur Fratze. Es sollte wohl ein Grinsen sein. Dann begann er einen wunderlichen Sprechgesang anzustimmen:
»Mit Aden und Wanen speis
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