Die Nonne und die Hure
Traubenhyazinthen und Narzissen aus dem feuchten Boden. Celina verrichtete ihre Arbeit, fehlte bei keiner Andacht, bei keinem Gebet. Doch sie war innerlich nicht anwesend. Weder Christoph, der fahrende Schüler, noch Nanna mit ihren geheimnisvollen Verletzungen gingen ihr aus dem Sinn. Der Karneval steuerte jetzt, Anfang Februar, seinem Höhepunkt entgegen, aber die Feiern, die auch im Kloster weiterhin stattfanden, ließen sie unberührt.
An einem sonnigen Morgen verkündete Suor Mathilda,dass ein Priester kommen würde, um ihnen allen die Beichte abzunehmen.
Das hättest du sicher am meisten nötig, dachte Celina.
Vor dem Eintreffen des Priesters herrschte Totenstille in der Kirche. Schließlich erschien der Mann. Er hatte eine Tonsur, eine gebogene Nase, die ihm das Aussehen eines Berggeistes verlieh, und war mit einer schwarzen Soutane bekleidet. Eine nach der anderen traten die jungen Frauen zum Beichtstuhl, derweil Suor Mathilda die Prozedur überwachte. Manche der Nonnen waren rot im Gesicht, als sie von ihrem Gang zurückkamen.
Endlich war die Reihe an Celina. Sie schob den Vorhang beiseite und kniete sich vor die hölzerne Balustrade. Das harte Holz schmerzte an ihren Knien. Durch das vergitterte Fenster sah sie ein schattenhaftes Gesicht mit dunkel glitzernden Augen.
»Gegrüßt seist du mit Gott, mein Kind«, sagte der Priester mit einer süßlichen Stimme. »Du hast nun Gelegenheit, mir deine Sünden der letzten Zeit zu beichten.«
Celina hatte vorher lange überlegt, was sie sagen sollte. Sie räusperte sich und begann: »Vater, ich habe gesündigt. Ich war eine unnütze Esserin im Hause meines Onkels, nachdem meine Eltern auf dem Meer verschollen waren. Zur Strafe hat man mich in dieses Kloster gesteckt.«
»Versündige dich nicht erneut«, sagte der Priester mit erhobener Stimme. »Deine Aufnahme ins Kloster ist eine gottgewollte Ehre. Du wirst gewiss unkeusche Gedanken gehabt und während der Karnevalstage einen Blick auf einen Mann geworfen haben.«
»Ja, ich habe unkeusche Gedanken gehabt«, erwiderte Celina, nun mit dem Mut der Verzweiflung. Dieser Priester würde keine Ruhe geben, bis er ihr irgendein Geheimnis, ob wahr oder erfunden, entlockt hätte. »Ich habe mich danachgesehnt, in den Armen eines bestimmten Mannes zu liegen«, sagte sie.
»Und – was hätte er dann getan?«
Celina spürte, dass sie errötete. »Er hätte mich auf den Boden gelegt und wäre auf mir geritten.«
»Was hätte er noch getan?«
»Er hätte sein Gemächt in mich gesteckt und dabei gehechelt wie ein Hund.«
»Woher weißt du, wie so etwas geht?«, fragte der Priester lauernd. Seine Augen funkelten stärker, sein Atem ging schwer. Celina senkte den Kopf.
»Hast du es getan?«, wollte er wissen. »Hast du es mit einem Mann getrieben?«
»Nein, ich habe durch ein Guckloch im Besucherzimmer geschaut.«
Das Schweigen, das im Raum stand, hätte man mit einem Messer schneiden können. Er sagte leise: »Bewahre das für dich. Zum Zeichen deiner Ergebenheit öffne dein Mieder und zeige mir, ob du reif dafür bist, die Braut Christi zu sein.«
Celina rührte sich nicht. Was hatte er da gesagt? Sie sollte sich vor ihm entblößen?
»Ich bin die Braut Christi und nicht die Eure«, sagte sie.
Der Atem des Priesters ging schneller. »Das wirst du noch bereuen«, presste er zwischen den Zähnen hervor.
Die Worte des Priesters gingen Celina nicht mehr aus dem Kopf. Doch sie wollte sich von nichts und niemandem mehr einschüchtern lassen. Nach dem Mittagessen sagte ihr Suor Margarethe, die Pförtnerin, dass sie Besuch habe. Celinas Herz begann zu klopfen. Ob es Christoph war, der fahrende Schüler aus Deutschland? Als sie das Besucherzimmer betrat, erhoben sich zwei hochgewachsene Menschen von ihren Plätzen: Eugenio mit seinem gebräuntenGesicht, dem zitternden Schnurrbart und den blasiert herabgezogenen Mundwinkeln, Faustina mit ihren hageren Gesichtszügen und der Eidechsenhaut. Sie sahen wohlgenährt aus. Faustina trug ein neues Barett mit weißen Straußenfedern, und beide waren auch sonst recht pompös gekleidet.
»Wir wollen es kurz machen«, sagte ihr Onkel durch die Nase. »Wir mussten noch einmal hundert Gulden für deinen Aufenthalt hier bezahlen. Mehr können wir uns nicht leisten. In Zukunft wird die Armenkasse für dich zuständig sein.«
Noch schlimmer kann es ja nicht kommen, dachte Celina.
Die Tante sah sie mit einem gewollt freundlichen Ausdruck an und meinte: »Aber da wir ein gutes Herz
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