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Die Nonne und die Hure

Die Nonne und die Hure

Titel: Die Nonne und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa S. Lotz
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stand wie erstarrt. Der Maskierte hob die Hände und kam immer näher.
    Ich muss fort! dachte Celina. Warum renne ich nicht weg? Doch ihre Beine waren wie am Boden festgeschraubt. Sie schaute sich wild nach allen Seiten um. Es war vollkommen dunkel, kein Mensch war zu sehen. Ihr Herz klopfte immer stärker.
    »Was wollt Ihr von mir?«, fragte sie mit heiserer Stimme.
    »Du hast deine Nase zu sehr in Angelegenheiten gesteckt, die dich nichts angehen«, sagte der Unbekannte leise.
    »Was für Angelegenheiten? Ich habe Euch doch nichts getan!«
    »Man hat dich beobachtet. Du bist eine Gefahr für unsere Stadt.«
    Der Mann war nun dicht vor ihr; sie konnte seinen Atem riechen. Er fasste sie an den Armen. Sie versuchte sich loszureißen, doch der Griff um ihre Handgelenke wurde immer fester. »Hilfe!«, schrie Celina, so laut sie konnte. Kurz ließ der Mann von ihr ab, packte dann wieder zu.
    »Hilfe!«, schrie sie wieder. Sie schaffte es, von ihm loszukommen, drehte sich herum und begann zu rennen. Sie lief, so schnell sie konnte, den Weg zurück, den sie gekommen war. Schritte verfolgten sie, klapperten auf dem Pflaster der Gasse, kamen immer näher. Der Mann packte sievon hinten, und sie fiel mit ihm zu Boden. Er umklammerte sie mit seinen Armen. Celina wand sich unter dem Gewicht seines Körpers, doch die Umklammerung verstärkte sich noch. Aus einer Seitengasse kam eine Schar fröhlicher Zecher. Einen Augenblick lang ließ der Mann mit der Totenmaske von ihr ab, und sie entwand sich ihm.
    Sie lief in die Gasse, aus der die Zecher gekommen waren. Endlich sah sie Lichter auftauchen. Hier war die Stadt wieder belebter, einzelne Gecken und kostümierte Bürger liefen ihr über den Weg. Die Schritte verfolgten sie nicht mehr. Schließlich stand sie vor einem Gebäude, an dessen blau gestrichener Tür die Aufschrift angebracht war: por uomi gentile , für freundliche Menschen. Celina trat ein, noch völlig außer Atem. Laute Stimmen und warmer Dunst drangen ihr entgegen. Sie nahm alles wie durch einen Nebel wahr, bestickte Teppiche an den Wänden, Stühle, Tische, Bänke, dazwischen bewegten sich vermummte Gestalten im Tanz. Celina drehte sich ängstlich nach der Tür um, durch die sie hereingekommen war. Sie erwartete jeden Moment, dort den Mann mit der Totenmaske auftauchen zu sehen. Sie kniff die Augen zusammen. Einige der Tanzenden trugen Mäntel aus schwarzer Seide, auf den Köpfen saßen Kappen, die bis über die Schultern reichten. Weiße und buntverzierte Wachsmasken, manche aus Gold, manche wie Flügel geformt, bedeckten die Gesichter. Da und dort sah Celina schwarze Hüte mit weißen Federn. Die Frauen konnte man nur an den Röcken unterscheiden, die unter den Mänteln hervorblitzten.
    Celina atmete tief durch. Allmählich nahm sie Einzelheiten wahr, sah venezianische Kaufherren mit spitzem Bart, schwarzer Maske und rotem Kostüm, bunte Flickenkostüme, plattnasige Masken, Türken, Mauren, Teufel, Satyrn … Aufatmend ließ sie sich auf einem Stuhl am Rande der Tanzfläche nieder.
    »Ihr seht aus wie der Tod«, sagte ein Mann, der sich als Teufel verkleidet hatte, und blickte ihr in die Augen. »Kommt da hinüber, trinken wir was miteinander.«
    Widerstandslos ließ Celina sich von seiner Hand führen. Hauptsache, sie war in Sicherheit. Am anderen Ende des Raumes stand ein Tisch mit verschiedenen Köstlichkeiten: Herzen aus gelber Polenta, Krustentiere und Mollusken; mogiu alla greca , schichtweise in einen Tiegel gegeben, mit Zitrone und Knoblauch gegart, gebratener Radicchio, Quittenbrote in unterschiedlichsten Formen und Spieße mit kandierten Feigen und Nüssen. Ihr war übel, doch verspürte sie gleichzeitig Hunger. Das sind die wiedererwachenden Lebensgeister, dachte sie, seit heute Nachmittag habe ich nichts mehr zu mir genommen. Sie probierte vom Radicchio, der stark und leicht bitter schmeckte.
    Nachdem Celina gegessen und einen Becher Wein getrunken hatte, fühlte sie sich schon bedeutend wohler. Trotzdem war ihr der Mann neben ihr nicht ganz geheuer. Er drängte sich zu nah an sie heran.
    »Ihr überlegt vermutlich gerade, ob Ihr mich anziehend oder abstoßend finden sollt«, sagte der Teufel und verzog den Mund.
    »Ich finde Euch nicht abstoßend, nur … zudringlich«, beeilte sich Celina zu antworten.
    »Ihr traut Euch nicht, hier mitzumachen, Euch zu verkleiden, in eine ganz andere Rolle zu schlüpfen. Verlasst einmal Eure wohlbehütete Welt; es gibt viel mehr hinter den Dingen, als Ihr in Euren

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