Die Nonne und die Hure
Celina. »Darf ich Euch zu einem Gläschen Alantwein einladen?«
Celina merkte, dass sie rot wurde. »Aber dürfen wir denn …«, fragte sie.
»Während des Karnevals ist in Venedig alles erlaubt«,antwortete der Mann, nahm sie beim Arm und führte sie durch die Menge hindurch zum Ausschank. »Entschuldigt, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt.« Er reichte ihr ein Glas Wein. »Mein Name ist Christoph Pfeifer, ich bin ein fahrender Schüler aus Deutschland.«
»Ich bin Celina Gargana, seit zwei Monaten Nonne dieses Klosters.«
»Wie kommt ein so schönes Mädchen wie Ihr in ein Kloster?«
Celina versteifte sich, statt eine Antwort zu geben. Der Mann schien ihre kühle Reaktion bemerkt zu haben und fragte nicht weiter. Die Nonne, die Lukrezia gespielt hatte, näherte sich zögernd. Sie hatte ein noch kindliches, rundes Gesicht, eine feine, gerade Nase, deren Flügel zuckten, und einen kleinen, schön geschnittenen Mund. Scheu blickte sie aus ihren großen dunklen Augen auf die Männer. Sie war in die Ordenstracht der Franziskanerinnen gekleidet, mit einer schafswollenen Tunika, die durch einen Strick gegürtet war, und einem dunkelbraunen Mantel
»Komm her, Nanna, vor mir brauchst du dich nicht zu fürchten«, rief ein dicker Mann. »Hier, trink einen Becher Wein mit mir.«
Er langte mit seinen dicken Fingern, an denen mehrere Ringe funkelten, nach ihr. Nanna zog sich zurück.
»Nun zier dich nicht, Kleine, du bist doch sonst nicht so zimperlich«, sagte der Dicke, packte sie und zog sie an sich. Celina bemerkte den gehetzten Ausdruck in ihren Augen.
»Ich kenne diesen Mann«, sagte Christoph leise zu Celina.
»Er leitete eine Rottfahrergruppe über die Alpen und verschuldete den Tod vieler Menschen.«
»Was wollt Ihr von dem Mädchen?«, wandte sich Celina an den Dicken.
Der Kerl musterte sie und pfiff durch die Zähne. »Ihr seht auch zum Anbeißen aus, junge Frau«, sagte er.
Nun griff Christoph ein. »Mit welchem Recht führt Ihr Euch hier dermaßen auf, Breitnagel? Habt Ihr nicht schon genug Unheil angerichtet?«
»Und mit welchem Recht mischt Ihr Euch in meine Angelegenheiten?«, gab Alois Breitnagel zurück. »Ich kann tun und lassen, was ich will. Komm, Nanna, mein Täubchen, sei nett zu mir.«
Nanna sah sich hilfesuchend nach Celina um.
»Lasst Euch nichts gefallen«, sagte Celina. »Und sagt mir eins: Seid Ihr das wirklich, was Ihr da spielt?«
»Beim Schauspielern schlüpft man immer in die Rolle hinein«, war die ausweichende Antwort. Während des Gerangels mit dem Dicken war Nanna der Ärmel hochgerutscht, und Celina sah blutige Striemen auf ihrem Arm, die noch nicht sehr alt sein konnten.
»Habt Ihr Euch verletzt?«, fragte Celina.
»Ach, Ihr wisst ja, wie das ist«, versetzte das Mädchen. »Ich lebe wie Ihr in einem Kloster, in Convertite auf der Insel Giudecca. Nach der Beichte und der Sündenbefragung geißele ich mich hin und wieder, um Vergebung zu erlangen.«
»Ja, sie geißelt sich«, sagte der Dicke mit einem breiten Grinsen, »weil sie mir immer wieder so hübsche Dienste erweist.«
Eine Glocke klingelte und kündigte den nächsten Akt des Theaterspiels an.
»Wie wird denn die Geschichte enden, Nanna?«, fragte Celina.
»Sie endet so wie im wirklichen Leben.« Mit diesen Worten drehte die Nonne sich um und lief zur Bühne. Eine Glocke ertönte; die Zuschauer begaben sich murmelnd und lachend auf ihre Plätze. Als der Vorhang sich hob, zeigte das Bühnenbild einen Klostergarten, in dem als Mönche verkleidete Nonnen herumgingen, Lukrezia und Lukas unter ihnen. Lukas begann zu sprechen.
»Brüder in Christo«, rief er mit erhobener Stimme, »ich breche heute das Schweigegebot, weil wir uns in allerhöchster Gefahr befinden. Wir müssen unsere Klöster wieder zu dem machen, was sie einmal waren. Hohe Herren aus der Stadt, Äbte, Priester und ausländische Adlige entehren und entführen unsere Nonnen, missbrauchen ihre Gastfreundschaft und stellen sie auf eine Ebene mit den Huren. Von den Sünden kaufen sie sich bei ihren Wallfahrten in die Heilige Stadt frei. Richtiger wäre es, sie der gerechten irdischen Strafe zuzuführen.«
»Du siehst das falsch«, widersprach ihm ein junger Mönch. »Wir sollten diesen Nonnenschändern lieber nachts auflauern, ihnen einen Sack über den Kopf ziehen und sie ordentlich durchprügeln!«
»Jawohl«, fiel ein anderer ein. »Und sie an ihrem Spitz ziehen wie an einem Regenwurm. Dann wird ihnen ihr Gelüste bald
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