Die Nonne und die Hure
Celina.
»Es ist in der ganzen Stadt mit einem Aufführungsverbot belegt«, meinte Nanna.
Ihr Begleiter legte besitzergreifend seine Hand auf ihr Knie. »Nanna soll nicht Theater spielen, sie ist für ganz andere Dinge geboren«, sagte er und leckte sich dabei mit der Zunge über die Lippen.
»Wofür bin ich denn geboren?«, fragte Nanna zurück.
»Das weißt du selber ganz genau«, lautete die Antwort.
»Kommt doch herüber an unseren Tisch«, rief Eugenio herüber. »Dann können wir ein wenig plaudern.«
Die beiden erhoben sich und kamen an den Tisch von Eugenio und Faustina. Während die anderen sich unterhielten, beugte Celina sich zu Nanna und fragte leise: »Was ist mit deinem Auge passiert? War das auch eine Selbstgeißelung?«
Nanna errötete. »Ich habe Holz gehackt, dabei ist mir ein Scheit ins Auge geflogen«, antwortete sie.
»Du verletzt dich aber häufig selbst.«
»Ich war schon immer ein Tolpatsch.«
»Kann ich dich einmal in Convertite besuchen?«, fragte Celina.
Nanna schüttelte energisch den Kopf. »Leider nicht. Es ist uns nicht erlaubt, Besucher aus anderen Klöstern zu empfangen.«
Celina glaubte ihr nicht. Bei dem lockeren Treiben, das allenthalben herrschte …
»Aber du durftest Theater spielen in San Zaccaria«, wandte sie ein.
»Das ist eine Pflicht«, gab Nanna lakonisch zur Antwort. »Lass uns gehen«, drängte sie nun ihren Begleiter. »Ich muss bald zurück im Kloster sein.«
Der Mann hatte offenbar schon einiges getrunken, denn er schaute Celina aus geröteten, glänzenden Augen an.»Nein, ich möchte noch bleiben«, lallte er. »Das ist so ein hübsches Mädchen, ich könnte …«
»Ich gehe ins Wirtshaus und hole noch einen Krug Wein«, sagte Onkel Eugenio.
»Und ich begleite dich. Ich muss mich ein wenig frisch machen«, sagte die Tante und folgte ihm zum Eingang der Schänke.
»Wir gehen jetzt auch«, meinte Nanna energisch und zog ihren Begleiter vom Stuhl hoch. Bedauernd blickte er Celina noch einmal tief in die Augen und zuckte die Schultern. Gleich darauf waren beide im Gewühl verschwunden.
Eine ganze Zeit saß Celina da, nippte an ihrem Wein. Das Karnevalstreiben tobte um sie herum. Doch Eugenio und Faustina ließen sich nicht mehr blicken. Der Wirt näherte sich Celina. »Das macht zehn Dukaten«, sagte er und streckte seine Hand aus.
Celina blieb nichts anderes übrig als zu zahlen. Zum Glück hatte sie etwas von dem Geld eingesteckt, das sie unter ihrer Matratze verwahrte. Sie fühlte sich vollkommen allein in diesem Moment. Der Gedanke an ihr weiteres Leben lähmte sie. Der Lärm und das Getriebe um sie herum gingen sie nichts mehr an. Was hatte sie mit diesem Narrenspiel zu tun?
Sie stand auf und ließ sich von der Menge durch die Gassen treiben. Die Gesichter schwebten an ihr vorüber, sie sah aufgerissene Münder, fuchtelnde Arme; der Lärm, das Rasseln der Schellen verhallten in einem fernen Winkel ihres Kopfes.
Der Abend kam mit langen Schatten. Celina irrte immer noch ruhelos durch die Gassen, fühlte sich einsam inmitten der Menschen. Sie hatte keine Lust, ins Kloster zurückzukehren. Doch wo sollte sie hin? Es war inzwischen kalt und neblig geworden, die Straßen hatten sich geleert. Sie ging in eine dunkle, gewundene Gasse hinein. In einer Mauerritzesteckte eine halb abgebrannte Fackel. Als Celina am Ende der Gasse ankam, stand sie an einem Kanal, dessen Wasser kalt und dunkel unter ihr dahinfloss. Sie drehte sich um und lief zurück. Die Häuser drängten sich eng zusammen, finster wie Augenhöhlen starrten sie die Fenster an. Sie wandte sich nach rechts. Alles war plötzlich fremd; sie wusste nicht mehr, wo sie sich befand.
Sie rannte schneller, ihr Atem ging stoßweise und flog dampfend um ihren Kopf. Wieder endete die Gasse an einem Kanal. Sie hatte Seitenstechen und blieb einen Moment lang stehen. Sie kam sich unendlich allein vor und dachte an ihre Kindheit, an das Haus in der Stadt, den Landsitz mit seinen Geräuschen und Gerüchen, den Menschen, den Knechten und Mägden, Pferden, Kühen und Schafen. Und an die Eltern, die so plötzlich verschwunden waren. In diesem Moment hörte sie Schritte hinter sich. Sie drehte sich um. Das Herz blieb ihr fast stehen. Sie blickte in das Gesicht eines Toten.
12.
Die Gestalt mit der Totenmaske kam auf sie zu, gespenstisch weiß mit dunklen Augenhöhlen. Der Körper des Unbekannten war mit einem langen schwarzen Umhang, der Kopf mit einer Kapuze bedeckt. Celina schlug die Hände vor den Mund,
Weitere Kostenlose Bücher