Die Nonne und die Hure
Ordensregeln des heiligen Benedikt zu besorgen.
Der Abschied gegen Mitternacht war herzlich; alle umarmten sich.
Hoffentlich sehe ich sie wieder, dachte Celina, vor allem Christoph. Auch wenn sie es sich selbst nicht eingestehen wollte, war er ihr besonders ans Herz gewachsen.
18.
Immuti brachte Celina zur Rialtobrücke, wies ihr den restlichen Weg und ließ sie dann allein. Andriana, die Kurtisane, wartete bei der Kirche San Salvatore. Irgendwie kam sie Celina bekannt vor. Andriana war eine Frau von hohem, schlankem Wuchs. Soweit es im Dunkeln zu erkennen war, hatte sie ein oval geschnittenes Gesicht mit schmaler, gerader Nase. Ihre Haare trug sie unter einem Perlennetz, darüber ein Barett. Ihr Kleid war fließend, aus edlem Stoff; ein schwacher Duft nach Bergamotteöl ging von ihr aus.
»Mein Name ist Andriana Grimani«, sagte die Kurtisane mit einer tiefen, angenehmen Stimme.
»Und ich bin Celina Gargana, wie Hans Euch sicher schon gesagt hat. Es kommt mir so vor, als hätte ich Euch schon einmal gesehen.«
»Wir sind uns sicher irgendwo begegnet«, meinte Andriana. »Lasst mich raten. War es vielleicht in Bassano del Grappa?«
»Ja, vielleicht«, entgegnete Celina. »Seit meiner Kindheit war ich fast jeden Sommer dort. Meine Eltern haben … hatten dort einen Landsitz. Seid Ihr … bist du …?«
Andriana nahm sie in den Arm, so selbstverständlich, als hätten sie sich gestern erst getrennt.
»Ja, ich bin das Mädchen, das mit dir Murmeln und Fangen gespielt hat. Erinnerst du dich an das Ufer der Brenta, an die Vögel, die Fische und die Angler, die stundenlang reglos zwischen den Weiden hockten?«
»Ja, ich erinnere mich, besonders an die Angler und die Reiher«, erwiderte Celina. »Wir haben uns immer alles erzählt, was uns auf dem Herzen lag. Eines Tages warst dudann verschwunden. Meine Eltern erzählten mir, du seiest in ein Kloster gegangen.«
»Den wahren Grund meines Verschwindens durfte niemand erfahren. Oh, welche Schande ich über meine Familie gebracht habe!« Andriana rollte mit den Augen.
»Darf ich wissen, was wirklich passiert ist?«, fragte Celina.
»Natürlich.« Die Kurtisane lachte. »Ich bekam ein Kind von einem Landadligen, der aber leider schon verheiratet war. Ich erzähle später mehr davon, wenn wir die Stadt hinter uns gelassen haben.«
Sie überquerten die Rialtobrücke. Einige Nachtschwärmer drehten sich nach Andriana um und pfiffen ihr hinterher. Auf einem Platz am Canale Grande, gegenüber der Ca’ d’Oro, wartete der Sohn von einem der Drucker auf sie. Der Junge war von Brinello als äußerst zuverlässig und verschwiegen empfohlen worden. So stellte er keine Fragen, ließ sie sein Boot besteigen und ruderte sie durch den Kanal auf die Lagune hinaus. Die Nacht war tiefschwarz; nur die Sterne spiegelten sich im dunklen Wasser. Als Celina sich umdrehte, sah sie die Umrisse der Stadt wie von einem fahlen Licht übergossen. Am Ufer standen Pferde für sie bereit; sie saßen auf und ritten los. Der Junge wies ihnen die Richtung: nach Südwesten, der Heiligen Stadt und einer ungewissen Zukunft entgegen. Das Reiten war ungewohnt für Celina, auch wenn sie es in ihrer Jugend gelernt hatte. Nach einigen Meilen brachte sie ihr Pferd zum Stehen.
»Ist es ein großer Umweg, wenn wir am Landgut meiner Eltern in Bassano vorbeischauen? Ich möchte wissen, was daraus geworden ist.«
»Der Umweg dürfte etwa sechzig Meilen betragen, vierzig hin, zwanzig zurück«, erklärte Andriana. »Das schaffen wir zu Pferd in vier Stunden, zwei Stunden zur Straße nach Padua. Ich verstehe, dass es dich dort hinzieht, auch wennes nicht ganz ungefährlich ist. Aber auch ich möchte meine Heimat einmal wiedersehen.«
Als sie sich der kleinen Stadt am Rand der Berge näherten, wurde es allmählich hell. Die Vögel begannen zu zwitschern. Die Hufe der Pferde klapperten über die groben Steine der Gassen. Celina hatte die Führung übernommen. Alles hier erinnerte sie an ihre Kindheit, die grauen Mauern der Häuser, die kleinen Campos, selbst die noch kahlen Linden. Die ersten Handwerker kamen aus ihren Häusern; beladene Karren rumpelten in Richtung Marktplatz. Es duftete nach frischem Brot. Celinas Magen begann zu knurren. Sie setzten sich unter eine der Linden, aßen Brot und Speck und tranken aus ihren Wasserflaschen. Der Weg führte aus der Stadt heraus, immer am Fluss Brenta entlang. Vor ihnen lagen die Berge und die Weinplantagen. Schließlich kam das Landgut in Sicht, strahlend weiß
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