Die Nonne und die Hure
vorbeifuhren. Während sie enttäuscht am Strand stand, verschwand das Boot im Dunst. Sie sah in der Ferne einen Dreimaster vorüberziehen. Vollkommen lautlos trieb er auf seiner Bahn, auf seinem Kurs nach Nordosten. Ob er nach Dalmatien fuhr? Hoffentlich fiel dieses Schiff nicht in die Hände von Freibeutern. Sie musste an ihre Eltern denken, die ebenfalls auf dem Kurs nach Dalmatien gewesen waren.
In der Nacht träumte Celina, dass sie sich an Bord eines Schiffes befand. Ein Sturm kam auf, das Schiff schlingerte hin und her, riesige Brecher krachten über die Planken und drohten sie mit sich zu reißen. Sie sah ihre Eltern in den Wellen treiben und verzweifelt mit der See kämpfen. Die nächste Welle riss sie über Bord. Sie bekam eine Planke zu fassen, klammerte sich verzweifelt daran fest. Ihr schrecklicher Traum verfolgte sie den ganzen Tag und bestärkte sie in dem Wunsch, mehr über das Schicksal ihrer Eltern zu erfahren. Sie nahm ihren ledernen Reisebeutel, zog einen abgetragenen Mantel über und bedeckte ihr Haar mit einer einfachen Haube. Wenig später sah sie ein Fischerboot, winkte es zu sich heran, und gegen die Gabe von einem Scudo ruderte der Mann sie nach San Marco. Ungeachtet der Gefahr, in der sie immer noch schwebte, lief sie durch die Gassen, bis sie vor dem Haus des Verlegers Brinello stand. Sie fand die drei Männer bei der Arbeit in der Druckerei, roch den vertrauten Geruch der Druckerschwärze. Christoph drehte sich um, erblickte sie und lief ihr freudig entgegen.
»Hast du meinen Brief bekommen?«, fragte er.
»Was für einen Brief?«
»Ich habe ihn dem taubstummen Gondoliere gegeben. Mein Gott, wenn du ihn nicht bekommen hast, dann ist er womöglich abgefangen worden. Du darfst nicht mehr auf die Insel zurückkehren.«
»Was stand in dem Brief?«
Brinello und Hans hatten mit ihrer Arbeit aufgehört und gesellten sich zu den beiden.
Christoph antwortete: »Ich habe dir dringend geraten, dir ein anderes Versteck zu suchen. Ich bin beobachtet worden.«
»Auch Nanna hat dich gesehen«, brachte Celina hervor.
»Der Zehnerrat will deine Ausweisung aus der Stadtbetreiben, zusammen mit deinem Onkel Eugenio, der neuerdings ebenfalls dem Rat angehört.«
Celina hatte das Gefühl, als bleibe ihr Herz einen Moment stehen.
»Onkel Eugenio gehört dem Zehnerrat an? Großer Gott! Sie wollen mich tatsächlich vernichten. Wenn ich nur wüsste, warum das alles!«
»Hans kennt einen Kardinal in Rom, der auf unserer Seite ist«, sagte Christoph. »Ich selbst kann dich nicht begleiten, weil ich noch einmal ins Heilige Römische Reich muss.«
»Was, du gehst fort?«, fuhr Celina auf.
»Die Umstände zwingen mich dazu. Mein Ziehvater ist in großer Gefahr. Du wirst mit Andriana gehen, einer würdigen Kurtisane, der eine Pilgerreise auferlegt wurde. Immuti, vom Zehnerrat, wird dich noch heute Abend zu ihr bringen. Ihr werdet als Pilgerinnen dorthin gehen, um die Freisprechung von deinem Gelübde zu erhalten. Andriana wird dich nach Vollbringung ihrer Buße hierher zurück begleiten.«
»Was würde passieren, wenn ich hier bliebe?«, fragte Celina.
»Sie werden dich ins Kloster zurückschicken und dort unter strengstem Verschluss halten. Vielleicht würdest du nie mehr das Sonnenlicht erblicken.«
Celina spürte, wie ihr die Angst bis zur Kehle hinaufstieg. Hans hatte die Pilgerkleidung schon besorgt; es war alles bereit: etwas Geld in einem Beutel, gestiftet von Brinello, zwei Pilgerstäbe, Taschen, mit Leder verstärkte Pellerinen und breitkrempige, runde Filzhüte.
»Die schützen euch vor Kälte und Regen«, meinte Brinello. »Zieht feste Schuhe an und nehmt ein paar Schuhe als Ersatz mit. Und vergesst nicht eure Flaschen, du und Andriana. Wanderstäbe könnt Ihr Euch unterwegs schnizen.«
»Woher hast du …?«, fragte Celina.
»Ich habe vor zwei Jahren eine Pilgerreise nach Santiago de Compostela unternommen«, entgegnete der Verleger. »Die Romwallfahrer sind ganz ähnlich gekleidet.«
Celina zog sich auf ihr Zimmer zurück, um sich umzuziehen und sich auf die Reise vorzubereiten, die sie nun so plötzlich antreten sollte. Zusammen mit Hans und Brinello warteten sie auf die Nacht, in deren Schutz sie mit Andriana, auf die sie sehr neugierig war, die Stadt verlassen sollte. Brinello hatte Würzwein heißgemacht, den sie miteinander tranken. Als Wegzehrung gab er ihr Speck und Brot mit. Er bat sie darum, ihm in Florenz bei einem Buchhändler, dessen Adresse er ihnen gab, eine Abschrift der
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