Die Nonne und die Hure
Reinhard von Geldern,
Christoph Pfeifer,
Ich, meines Zeichens Bischof von Würzburg, Friedrich von Wirsberg, habe die traurige Aufgabe auferlegt bekommen, Euch vom Ableben Eures Ziehvaters Reinhard von Geldern zu unterrichten.
Sein Besitz ist, da kein Erbe vorhanden war und Ihr Euch fern der Heimat aufhaltet, in die Hände unserer Kirche übergegangen.
Mein Segen sei mit Euch
Gez. Hippolyt Gratius,
Sekretär seiner Exzellenz
des Hochwürdigsten Herrn Bischof
Christoph hatte das Gefühl, als werde ihm der Boden unter den Füßen fortgerissen. Er sank auf einen Stuhl nieder und hielt den Brief kraftlos in seinen Händen.
»Was ist mit dir, Christoph?«, fragte Brinello. »Du bist ja bleich wie der Mond in einer Januarnacht.«
»Sie haben ihn umgebracht!«, schrie Christoph, blind vor Tränen. »Und die anderen sicher dazu. Diese gottverdammtenSchergen – Diener des Teufels sind sie, nichts anderes!«
»Fluche nicht, Christoph«, begütigte Brinello. »Das mit deinem Vater tut mir sehr, sehr leid. Aber vom Fluchen wird er auch nicht wieder lebendig. Wir werden sehr schnell eine Versammlung einberufen müssen.«
»Was soll eine Versammlung nützen?«, rief Christoph aufgebracht. »Am liebsten würde ich sofort losreiten und sie alle in Stücke hauen!«
»Damit benutzt du dieselben Mittel, die du so sehr verdammst. Wir müssen versuchen, sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Und zwar hier.«
»Du hast ja recht«, räumte Christoph ein.
Er ging in seine Kammer und warf sich auf das Bett. Eine Zeit lang lag er wie erstarrt da. Dann fiel es ihm siedend heiß ein. Wenn der Sekretär des Bischofs ihm geschrieben hatte, musste der Bischof wissen, wo er sich aufhielt. Sicher war Reinhard gefoltert worden, das sah die Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V bei Ketzerprozessen vor. Wahrscheinlich waren die Häscher schon unterwegs. Christophs Gedanken drehten sich im Kreis, er fühlte sich leer und war grenzenlos traurig.
Die Versammlung der Verleger, der Buchdrucker und -händler sollte auf der Insel San Clemente stattfinden, weil das Haus in Dorsoduro der Signoria bereits bekannt war. In einer Art Sternfahrt fuhren die einzelnen Teilnehmer mit Booten an einem Nachmittag im späten Mai dorthin. Als Christoph, Brinello und Hans ankamen, waren die anderen bereits da. Christoph sah die Hütte des Klausners auf ihrem Hügel und dachte an die unbeschwerten Tage, die er mit Celina trotz der Gefahren hier verlebt hatte. Wie sehr wünschte er sich, dass sie hier wäre! Er ging mit Brinello und Hans zu den anderen hinüber, die mit Angeln inder Hand am Strand standen. Aha, so versuchte man den wahren Grund ihres Hierseins zu verbergen. Wenn allerdings jemand von der Signoria Wind von der Sache gekriegt hatte, würde ihnen das nicht viel nützen.
Corregio, der schon in Dorsoduro das Wort geführt hatte, begann zu sprechen. »Wir haben uns heute versammelt, um dem Ernst der Lage, in die wir geraten sind, etwas entgegenzusetzen. Brinello hat mich über die Vorkommnisse im fernen Reich, den Vater Christoph Pfeifers und seine Getreuen betreffend, unterrichtet. Über die näheren Umstände der dortigen Geschehnisse habe ich inzwischen durch einen Gewährsmann Kunde erhalten. Dessen Aufenthaltsort will ich lieber nicht nennen. Wer weiß, vielleicht haben hier sogar die Fische Ohren.«
Die Angespanntheit, die auf den Gesichtern der Männer lag, lockerte sich für einen Moment, und sie begannen zu lachen.
»Es fällt mir nicht leicht, euch über das Geschehene zu berichten«, fuhr Corregio fort. »Aber ich kann und darf es euch nicht vorenthalten. Reinhard von Geldern wurde der peinlichen Befragung unterzogen, um die Namen anderer Häretiker von ihm zu erpressen. Schließlich wurde er, nachdem er kein Sterbenswort über die Lippen gebracht hatte, zusammen mit den anderen gepfählt und verbrannt.«
Auch wenn es Christoph bei diesem Gedanken schauderte, fühlte er sich ein wenig erleichtert. Sein Ziehvater hatte ihn nicht verraten und die anderen ebenfalls nicht.
»Ich bitte um Wortmeldungen«, sagte Corregio.
Brinello trat in den Kreis der Anwesenden. Die langsam sinkende Sonne beleuchtete sein pockenarbiges Gesicht, Vögel zwitscherten in den Bäumen, und im tiefblauen Wasser der Lagune sprang ein Fisch in die Höhe, um sich eine Fliege zu schnappen. Die Natur ist ganz unberührt von dem, was hier geschieht, dachte Christoph, sie fresseneinander, um zu leben, während die Menschen sich gegenseitig ausrotten, um die
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