Die Nonne und die Hure
kurzen Blick zu. Sein Gesicht war scharf geschnitten mit einem staubbraunen, wolligen Bart. Er trug eine braune, bestickte Tiara und einen Hermelinmantel. Cornelli kam ihnen mit ausgestreckten Händen entgegen. Er war groß und stattlich, mit einem leicht ergrauten Haarkranz um die Tonsur. Seine Hand, mit der er die Celinas drückte, fühlte sich weich und schwammig an.
»Kommt herein und setzt Euch«, sagte er mit einer leicht näselnden Stimme. Celina und Christoph hauchten Küsse auf den Ring an seiner ausgestreckten Hand. Sie setzten sich auf die angebotenen Stühle. Das Zimmer, in dem sie sich befanden, war mit geschnitzten französischen Möbeln aus Kirschholz, einem Bücherschrank, einem Schreib- und Lesepult sowie mit Teppichen auf dem Boden und an den Wänden ausgestattet.
»Was führt Euch zu mir?«, fragte der Abt mit hochgezogenen Augenbrauen. Er musterte Celina eindringlich. Ihre Hände wurden feucht; sie strich sie an ihrem Rock ab.
»Wir möchten Euch zu den Todesfällen befragen, diesich in letzter Zeit in der Stadt ereignet haben«, begann Christoph.
Der Abt hüstelte. »Was sollte ich damit zu tun haben?«, fragte er.
»Es hieß, die jungen Frauen seien alle aus dem Kloster Convertite gewesen«, warf Celina ein.
»Wer behauptet das?«
»Wir waren Zeugen der Vorfälle. Die Toten wurden eindeutig als Nonnen des Klosters Convertite erkannt«, erklärte Celina schnell.
Der Abt wiegte sinnend den Kopf. »Ich bin sicher, dass es Unglücksfälle waren.«
»Dann gebt Ihr also zu, dass es diese Todesfälle gegeben hat?«
»Wer bestreitet sie denn?«
»Der Rat der Zehn.«
»Oh, Ihr müsst das verstehen«, meinte der Abt. »Es wirft kein gutes Licht auf eine Stadt, zumal im Karneval, wenn so etwas ruchbar wird. Die vielen Besucher könnten davon abgeschreckt werden. Oder außer Rand und Band geratene junge Leute könnten sich einen Spaß daraus machen, junge Mädchen in die Kanäle zu werfen. Aus diesem Grund hat der Rat diese Nachrichten zurückgehalten.«
»In der Nähe der Fundorte ist mehrmals eine Gestalt mit einer Totenmaske aufgetaucht. Könnte die unter Umständen etwas damit zu tun haben?«
»Ich sagte Euch doch: Es waren Unglücksfälle.« Er klang nun eindeutig verärgert.
»Es gibt Hinweise darauf, dass das nicht der Wahrheit entspricht«, sagte Celina. »Jedem Mädchen ist ein Löwe in den Oberschenkel gebrannt worden. Zuvor hatte man sie vermutlich vergiftet, bevor man sie in die Kanäle warf.«
»Das ist doch alles Unsinn!«, rief Cornelli. »Glaubt doch nicht, was auf der Straße erzählt wird!«
»Auf der Straße haben wir das nicht gehört«, warf Celina ein.
»Ich habe die Mädchen selbst gesehen!«
»Also gut.« Das Gesicht des Abtes entspannte sich. »Da Ihr nun schon einmal soviel wisst … In Wahrheit geht der Zehnerrat von Mord aus. Dieser Mann mit der Totenmaske könnte die Mädchen angelockt, erwürgt oder vergiftet haben. Es wird nach ihm gesucht. Man wollte das aber nicht an die große Glocke hängen. Es besteht immer die Gefahr von Nachahmungstaten.«
Wieder sah er Celina eindringlich an, was sie mit Unbehagen erfüllte. Dennoch hatte sie Zutrauen zu diesem Mann gewonnen. Sie hatte den Drang, ihm von ihrer Situation zu erzählen, und berichtete über Onkel Eugenio, Tante Faustina, das Verschwinden der Eltern und ihren Aufenthalt im Kloster. Christoph schwieg dazu mit grimmigem Gesicht. Der Abt versprach, sich um die Angelegenheit zu kümmern, Celina von ihrem Gelübde zu befreien und ihr zu ihrem Erbanspruch zu verhelfen. Sie solle am nächsten Tag wiederkommen.
Nachdem sie das Kloster verlassen hatten und außer Hörweite waren, machte Christoph Celina heftige Vorwürfe.
»Dem Mann traue ich nicht über den Weg!«, schimpfte er. »Wie konntest du ihm nur soviel über dich und deine Angelegenheiten erzählen? Ich dachte, du hättest den Verstand verloren.«
Celina errötete. »Wenn ich sämtliche Nachforschungen dir allein überlasse, werden wir nie etwas erfahren.«
»Celina!«, stieß Christoph wütend hervor. »Nimm das zurück! Ich habe dich aus dem Gefängnis befreit, habe den Platz auf der Insel für dich gesucht – was willst du mehr?«
»Es ist schon gut, ich habe es nicht so gemeint«, beschwichtigte sie. »Ich möchte, dass auch du mir vertraustund mich gewähren lässt. Ich glaube, dass ich über diesen Abt Cornelli den Geheimnissen um meine Familie auf die Spur komme.«
»Und dazu gehst du in die Höhle des Löwen?«
»Das ist manchmal
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