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Die Nonne und die Hure

Die Nonne und die Hure

Titel: Die Nonne und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa S. Lotz
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in der Morgensonne, der Springbrunnen mit den Löwen, die Buchsbaumhecke, die Obstbäume hinter dem Haus …
    Celina stiegen die Tränen in die Augen. Es war alles unverändert, als hätte sie es erst gestern verlassen. Sie ritten in den Hof hinein und stiegen ab. Jetzt erst merkte Celina, dass der Sattel die Haut an ihren Schenkeln aufgescheuert hatte, obwohl sie eine Bruche aus Batist trug. Ein Knecht, den sie nicht kannte und der ein Pferd am Zaumzeug führte, beäugte sie misstrauisch.
    »Was fällt Euch ein, hier einfach einzudringen«, rief er.
    »Das ist das Landgut meiner Eltern«, sagte Celina mit fester Stimme, obwohl die Worte des Mannes ihr die Zornesröte ins Gesicht getrieben hatten.
    »Dieses Gut gehört Signor Eugenio Gargana und seiner Frau«, erwiderte der Knecht barsch. »Ich habe die Anweisung, niemanden in die Nähe dieses Hauses zu lassen. Und jetzt macht, dass Ihr fortkommt!« Um seine Worte zu bekräftigen, holte er ein Messer aus dem Gürtel.
    Celina bemerkte, dass sich doch etwas verändert hatte. Im Hof waren Statuen aus weißem Marmor aufgestellt, die früher nicht hier gestanden hatten, Tiere aus rotem Gestein und Putten aller Art. Onkel Eugenio schien über beträchtliche Geldmittel zu verfügen.
    Ohne auf das Messer zu achten, blieb Celina stehen, stemmte die Hände in die Hüften und sagte: »Ihr könnt Euren Herrschaften ruhig ausrichten, dass wir hier waren. Und dass ich eines Tages wiederkomme und mir das hole, was mir rechtmäßig zusteht.«
    Sie gab Andriana ein Zeichen, und sie stiegen auf und ritten aus dem Hof hinaus. Celinas Augen waren blind vor Tränen.
    »Das wird er mir büßen, der alte Betrüger«, schluchzte sie.
    »Im Augenblick können wir leider nicht viel tun«, gab Andriana zurück. »Wir müssen sehen, dass wir so viele Meilen wie möglich zwischen uns und die Stadt Venedig bringen.«
    Celina wischte sich die Tränen mit dem Handrücken aus dem Gesicht. »Warum musst du diese Pilgerreise machen, Andriana?«, fragte sie, auch um sich abzulenken.
    »Die goldenen Zeiten für die Kurtisanen sind inzwischen vorbei. Vor zwanzig, dreißig Jahren war jede zehnte Frau in Rom eine von ihnen. Viele junge Frauen kamen vom Land in die Ewige Stadt, um dort ihr Glück zu machen. Dann wurden ihre Rechte eingeschränkt. Sie mussten sich kenntlich machen, mussten einen gelben Schleier oder ein gelbes Tuch tragen und durften nicht mehr mit herrschaftlichen Kutschen vorfahren. Schließlich wurden sie wie die Juden in eine Art Ghetto verbannt.«
    »Hat man dich auch verbannt?«
    »Ich habe mich geweigert, diesen Anordnungen nachzukommen. Mein Stand in der Stadt Venedig ist untadelig:Männer aus dem Umkreis des Dogen gehören zu meinen Kunden, Dichter und Musiker sind meine Freunde. Ich habe keinen Grund, mich zu verstecken. Als Strafe bekam ich diese Pilgerreise auferlegt.«
    »Dann haben wir ein gemeinsames Ziel«, sagte Celina. »Ich begleite dich auf deiner Reise und lerne etwas ganz anderes kennen. Ein wenig Angst macht mir das alles schon.«
    »Du brauchst keine Angst zu haben. Bis wir auf der Via Francigena sind, müssen wir uns halt durchschlagen. Dort können wir uns anderen Pilgern anschließen.«
    »Was ist das für eine Straße? Und wann werden wir auf sie treffen?«
    »Es ist die alte Pilgerstraße nach Rom. Zwischen Florenz und Siena werden wir sie erreichen.«
    Es war für die Jahreszeit sehr heiß. Der Schweiß lief Celina vom Nacken den Rücken herab, und sie musste oft den ausgehöhlten Kürbis zum Munde führen, den sie als Trinkgefäss mit sich führten. In Ferrara nahmen sie Quartier in einer Pilgerherberge. Gläubige aus aller Herren Länder hatten sich hier versammelt: deutsche Ordensleute, Kleriker, Landsknechte, Bettler, männliche und weibliche Wallfahrer, die nach Rom, nach Santiago de Compostela oder ins Heilige Land wollten.
    Abends saßen sie mit anderen Pilgern vor der Herberge, einem Stadthaus aus rötlichgelben Lehmziegeln. Brot und Käse gab es, dazu Wein aus der Romagna. Am Tisch von Andriana und Celina hatten fünf Frauen Platz genommen. Eine von ihnen war etwa vierzig Jahre alt; ihr Gesicht war breit und grell geschminkt. Eine Zweite hielt sich sehr gerade, was auf eine vornehmere Herkunft schließen ließ. Sie trug einen gelben Schleier am Hut und schwarze Pilgerkleidung aus Seide. Dann waren da noch zwei junge Mädchen, ebenfalls in Pilgerkleidung. Sie waren sehr still undblickten mit Madonnenaugen vor sich auf den Tisch, derweil die anderen

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