Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nonne und die Hure

Die Nonne und die Hure

Titel: Die Nonne und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa S. Lotz
Vom Netzwerk:
November 1561

29.
    Inzwischen war es Mitternacht geworden. Christoph hatte fast alle seine Flugblätter verteilt und schickte sich an, ein Boot für die Rückfahrt zu Brinellos Haus zu suchen. Ein leichter Wind brachte die Blätter eines Olivenbaums zum Zittern, der knorrig inmitten des engen Platzes stand. Es war ein friedlicher Abend, und er musste sein Leben riskieren, um die Sache der Reformation voranzutreiben. Christoph legte sein letztes Flugblatt auf der Schwelle eines Hauses ab. Der Schreck fuhr ihm in die Glieder. Ein Vorhang wurde beiseite geschoben, und der Kopf eines Mannes tauchte auf, die Nase vom Wein gerötet.
    »Was fällt Euch ein, mir solchen Mist vor die Tür zu legen?«, schimpfte der Mann.
    Christoph gab keine Antwort, sondern versuchte, sich schnell zu entfernen.
    »Haltet ihn!«, gellte die Stimme des Mannes hinter ihm her.
    Waren das Menschen, die sie für die Reformation gewinnen wollten? Christoph lief, wie er noch nie in seinem Leben gelaufen war. Doch zu spät; überall in den Häusern gingen Lichter an. Die Leute liefen vor ihre Türen, um zu schauen, wer da so ein Geschrei verursacht hatte.
    »Haltet ihn, haltet ihn, es ist ein Ketzer, ein Ketzer!«, hallte es nun von allen Seiten. Christoph fühlte sich von starken Händen gepackt und niedergeworfen. Eine hagere Frau spuckte auf ihn und hielt ihm eines der Flugblätter vor die Nase.
    »Pfui, schäm dich, unsere Kirche derart zu beschmutzen«, geiferte sie. Ein alter Mann trat mit den Füßen nach ihm. Christoph bäumte sich auf vor Schmerz.
    »Was ist denn hier für ein Aufruhr?«, ließ sich eine Stimme vernehmen. Aus dem Augenwinkel sah Christoph ein Mitglied der Signori della Notte.
    »Er ist ein Ketzer«, beeilte sich einer der Umstehenden zu erklären. »Er hat Flugblätter verteilt, in denen unsere Stadt, unser Doge, der Zehnerrat beschimpft werden!« Er hielt dem Polizisten das Flugblatt entgegen. Der überflog den Inhalt und wurde sehr förmlich.
    »Ich muss Euch mit zum Palazzo Ducale nehmen«, sagte er, an Christoph gewandt. »Was ich hier sehe, riecht nach Hochverrat.«
    »Hochverrat! Lasst ihn brennen, wir wollen ihn brennen sehen!«, schrien die Leute, nun ganz entfesselt vom Gedanken an das Schauspiel, das ihnen bevorstehen würde. Christoph versuchte, seine Gedanken zu ordnen, während er, von einem Pulk Menschen begleitet, zum Polizeiboot geführt wurde. Zwei andere Signori nahmen ihn in Empfang und legten ihm Handfesseln an. Während das Boot in der beginnenden Dämmerung den Canale Grande überquerte, hörte Christoph noch lange das Schreien und Rufen am Ufer. Hatte er das nicht schon einmal erlebt? Eine ferne Erinnerung an ein Theaterstück im Kloster San Zaccaria flog ihn an. Damals hatte er Celina kennengelernt. So viel war seither geschehen! Nein, er würde sich nicht unterkriegen lassen, jetzt erst recht nicht. Die Sorge um Celina und die beiden anderen nahm ihm fast den Atem.
    Stundenlang hockte er nun schon auf der Strohmatratze seiner Zelle. Der Raum war in völlige Dunkelheit gehüllt, und er wusste nicht, ob es Tag war oder Nacht. War eine Woche vergangen, seit man ihn zu seinem Entsetzen ineine der sieben Bleikammern des Dogenpalastes gebracht hatte, in diese berüchtigten Zellen, von denen es hieß, dass sie noch nie jemand lebend verlassen hätte? Am selben Abend hatte ihm ein mürrischer, schweigsamer Wärter einen Topf mit Fleisch hingestellt, aber Christoph aß nur von dem Brot, weil die Fleischbrocken erbärmlich stanken. Irgendwann hatte er an die Wände geklopft, einmal, zweimal, dreimal. Bald darauf kam ein Echo zurück. Er war also nicht allein hier. Und er war sich fast sicher, dass seine Freunde ganz nahe waren. Viel mehr wünschte er sich allerdings, dass sie hatten entkommen können. Bot das Haus in Mestre noch einen sicheren Schutz? War Celina in Sicherheit? Zwischen Wachen und Traum sah er sie, berührt von gierigen Händen, mit Gewalt zu Boden gedrückt und dann … Christoph schrie in ohnmächtiger Wut auf bei diesem Gedanken. Sein Leben zog an ihm vorbei. Er sah die brennenden Menschen vor sich, seine Mutter und seinen Vater, die klaglos gestorben waren. Die Zeit im deutschen Reich trat ihm vor Augen, sein Ziehvater Reinhard und all die anderen Menschen, mit denen er die letzten Jahre verbracht hatte.
    Manchmal schon wäre er lieber tot gewesen. Aber um ihretwillen musste er leben und weiter kämpfen. Würde er wegen Ketzerei angeklagt werden oder wegen Hochverrats? Er war sich nicht

Weitere Kostenlose Bücher