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Die Nonne und die Hure

Die Nonne und die Hure

Titel: Die Nonne und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa S. Lotz
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Wäschestücke über die Kanäle gespannt, sondern jedes Haus hatte seinen eigenen Bootsplatz.
    Ob es einen Sinn hatte, auch hier Flugblätter abzulegen? Waren diese Menschen nicht vornehmlich an ihrem Eigentum interessiert? Aber nein, wies sie sich zurecht, auch diese Menschen haben ein Recht auf Auskunft darüber, was in ihrer Stadt vor sich geht. Celina legte auch vor den Toren dieser Häuser Flugblätter ab.
    Das Ghetto Nuovo, in dem die jüdischen Einwohner Venedigs lebten, war mit einer Mauer umschlossen. Celina drückte sich in den Schatten eines Hauses, um vom Torwächter nicht gesehen zu werden. Merkwürdigerweise hatte sie aber keine Angst mehr. Wahrscheinlich bin ich an meiner Aufgabe gewachsen, dachte sie. Sie ging weiter. Vom Markusdom schlug die Uhr elf, und sie hatte immer noch nicht alle Flugblätter verteilt. Auf dem Rückweg ging es dann schneller. Schließlich legte sie das letzte Blatt auf dem Fenstersims eines Fischerhauses nieder. Gedankenverloren ging sie weiter, Schritt für Schritt. Sie dachte an Nanna und was sie ihr bei dem Besuch auf der Insel erzählt hatte. Was hatte sie dazu bewogen, mit diesem Kerl namens Breitnagel herumzuziehen? Das Geld? Celina konnte es nicht glauben. Nanna ließ alles mit sich geschehen, weil sie dachte, selbst an allem schuld zu sein – an ihrem Aufenthalt im Kloster, dem Kind … Ein Moment der Unbesonnenheit, und das ganze Leben verlief in Bahnen, die man sich nie vorgestellt hätte.
    Celina war so in Gedanken versunken, dass sie die Schritte hinter sich fast überhört hätte. Sie schreckte zusammen. Wo war sie eigentlich? Es konnte nicht mehr weit sein bis zu Brinellos Haus. Da war schon die Ecke mit dem gelblichen Gebäude, hinter dem der Rio di Ca’ Dolce begann. Die Schritte kamen schnell näher. Celina drehte sich um und erstarrte. Sie blickte in das Antlitz eines Toten. Der Mann mit der Maske! Bevor sie einen klaren Gedanken fassen konnte, fühlte sie sich von starken Händengepackt. Ein Tuch wurde in ihren Mund gestopft, die Hände blitzschnell gefesselt. Der Strick schnitt ihr ins Fleisch. Sie war unfähig, sich zu rühren. Der Mann warf sie sich wie eine Puppe über die Schulter und eilte mit schnellen Schritten davon. Dann fühlte sie einen dumpfen Aufprall. Es tat höllisch weh, und einen Moment glaubte sie, das Bewusstsein zu verlieren. Die Männer hatten sie in ein Boot geworfen. Sie sprachen flüsternd miteinander. Längere Zeit hörte Celina nichts als das Plätschern von Wasser, von dem sie annahm, dass es der Canale Grande war. Schemenhaft glitten die Häuser im Dunkeln vorüber. Das Boot kam zum Halten. Einer der Männer packte sie grob an der Schulter. Sie erhob sich von dem Sitz, auf dem sie die ganze Zeit gesessen hatte.
    »Steig an Land!«, befahl der Mann mit barscher Stimme. Eine schwielige Hand wurde ihr gereicht. Zögernd machte sie einen großen Schritt und spürte Land unter den Füßen. Sie schritten über den Markusplatz, auf die Treppe des Dogenpalastes zu. Sie schluckte. Wer sich in Gefahr begab, kam darin um! Hoffentlich waren die anderen ihnen entkommen. Warum hatte man sie überhaupt gefangen nehmen können? Gab es einen Verrat?
    Aber wer konnte gewusst haben, dass sie Flugblätter verteilen wollten?
    Es ging eine Treppe hinauf. Die Schritte ihrer Begleiter und ihre eigenen hallten in den Gängen und Räumen, durch die sie sich bewegten. Fast vertraut kam ihr der Weg nach unten vor, und vertraut war ihr auch der Raum, in den man sie schließlich hineinstieß. Die Handfesseln wurden nicht gelöst.
    In das Gemäuer war eine schmale Luke eingelassen, durch das ein wenig Tageslicht hereinfiel. Von außen drangen die Stimmen der Vorübergehenden zu ihr. Das schlurfende Geräusch sich entfernender Schritte machten ihrklar, dass sie nun ganz allein war. Eine lange Zeit saß sie so im Halbdunkeln und horchte in sich hinein. Traurig zog sie für sich selbst eine Schlussfolgerung: Was hatte dazu geführt, dass sie nun in dieser Situation war? Wer war daran schuld? Eugenio und Faustina mit ihrer Habgier? Christoph, weil er sie mit dem Buchdruckergewerbe und dem Verleger Brinello zusammengebracht hatte? Der Verleger selbst, weil er den Vorschlag gemacht hatte, die Flugblätter zu drucken? Nein, war ihre Antwort, es war alles ausschließlich ihre Schuld, denn sie hatte alles mitgemacht, hatte sogar Christoph und die anderen dazu gebracht, sich um ihren Fall zu kümmern. Selbst eine Pilgerreise nach Rom hatte man ihr verschafft, mit dem

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