Die Nonne und die Hure
sie die Augen zur Decke, wo rote Pünktchen tanzten, und betete, dass diese Tortur endlich vorübergehenmöge. Wer bin ich eigentlich? dachte sie. Bin ich eine Hure? Ich wollte keine Nonne sein, geschweige denn eine Hure. Nannas Gesicht trat vor ihre inneren Augen. Du hast sie auf dem Gewissen, du Miststück! dachte sie.
Celina spannte ihr rechtes Bein und stieß es dem Abt mit aller Kraft in den Unterleib.
»Christoph Pfeifer, kommt mit mir zum Verhör.«
Er wusste, was das zu bedeuten hatte. Wenn er kein Geständnis ablegte, würde er die peinliche Befragung über sich ergehen lassen müssen. Hoffentlich wurde er nicht vom Inquisitor verhört, sondern von einem Mitglied des Rates. Der Wächter fesselte ihn an Armen und Beinen, so dass er mit Mühe laufen konnte. Christoph hob den Kopf und folgte dem Wärter durch die Gänge und Räume des Palastes. Edel gekleidete Herren hoben kaum den Kopf, als sie vorübergingen. Der Wächter führte Christoph eine Treppe hinunter. Aus den Zellen, den pozzi , drangen gequälte menschliche Laute. Durch eine Tür gelangten sie ins Freie, in einen schmalen Gang zwischen den beiden Teilen des Palastes. Auf der anderen Seite ging es durch eine weitere Tür wieder hinein. Sie kamen zu den Justizräumen. In einem kargen Raum wies der Wächter ihn an, auf einem Stuhl Platz zu nehmen und zu warten. Er entfernte sich durch die Tür, die er verschloss. Christoph schaute sich um. Eine Reihe von Sitzgelegenheiten verteilte sich im Raum. Ein Stuhl, mit schwarzem Leder bezogen und hoher Lehne, stand vor dem Fenster, das den Blick auf die Markuskirche mit ihren Kuppeln und goldenen Mosaiken freigab. In der Mitte des Raumes war ein Stehpult aus schwarzem Holz plaziert, und an den Wänden hingen Seile herab, Lederstreifen waren an zwei schmalen Tischen befestigt, und im Hintergrund sah er ein Rad. Der Schlüssel drehte sich wieder im Schloss. Mehrere Wächter führten Hansund Ernesto Brinello herein. Beide warfen ihm einen Blick des Erkennens zu.
Nachdem die Wächter das Zimmer verlassen hatten, sagte Christoph halblaut: »Ich freue mich trotz allem, euch zu sehen. Doch warum werden wir hier zusammengebracht?«
Brinello räusperte sich. Sein Kinn war mit Bartstoppeln bedeckt. »Lasst mich euch eine Geschichte erzählen. Der venezianische Staat muss in heller Aufregung sein. Ihr wisst ja, dass es seit Jahren Prozesse gegen Häretiker gibt. Erst vor einigen Jahren, in Valladoid, hat man eine Ketzergruppe mit sechzig Mitgliedern ausgehoben; sie arbeiteten im Untergrund für ihren Glauben, direkt neben den königlichen Gebäuden.«
»Was geschah mit den Ketzern?«, fragte Christoph atemlos.
»Sie wurden gefoltert und verbrannt, ebenso wie die Bücher verbrannt wurden, die sie aus Deutschland hatten kommen lassen. Es waren Bücher von Luther, Melanchthon und Erasmus von Rotterdam. Dazu viele, die auch wir kennen, die auf dem Index stehen. Aber sorgt euch nicht! Wir werden ja wegen Hochverrats vernommen, nicht wegen Ketzerei.«
Er verstummte, weil wieder die Tür aufging, vor der zwei Wachen postiert waren. Drei Männer kamen herein. Der Ratsherr, der vom Gerichtsdiener als Felice Peretti vorgestellt wurde, und zwei fante dei cai , Beamte im Dienst des Zehnerrates. Sie seien als Zeugen des Verhörs vorgesehen, verkündete der Anklagevertreter Peretti. Einer von ihnen sei ein Notar, der die Verhandlung protokollieren würde.
Peretti setzte sich auf den hohen Stuhl am Fenster, die Beamten stellten sich daneben auf. Peretti war in ein rotes Wollgewand gekleidet und trug eine ebensolche Kappe mitweißen Rändern. Sein Gesicht war grob geschnitten. Er stützte die Hände auf den Tisch, beugte sich vor und musterte die drei Angeklagten scharf. Mit ruhiger Stimme begann er: »Wisst ihr, warum ihr hier seid? Ich bin mir sicher, dass ihr es wisst. Eure Befragung ist hiermit eröffnet.«
Er wandte sich an den links von ihm stehenden Notar. »Geh zum Stehpult und schreibe alles, was du hörst, gewissenhaft auf! Normalerweise gibt es nur Einzelverhöre, aber bei der Schwere eurer Taten und wegen ihrer Gleichartigkeit haben wir das Verfahren zusammengezogen.« Er zog ein Pergament hervor und las: »Wir, Vertreter des Zehnerrates der Stadt Venedig, sehen unsere Aufgabe darin, den Ruf des Dogen, des Rates und aller seiner Mitglieder sowie des städtischen Klerus zu verteidigen sowie Irrlehren und Häresien zu überprüfen und sie gegebenenfalls an die Heilige Inquisition weiterzugeben. Angeklagter Brinello,
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