Die Normannen
Könige die arabische Sprache beherrschten, ist umstritten, ebenso, ob bzw. wie lange am Hof in Palermo Altfranzösisch gesprochen wurde. In diesem Zusammenhang ist eine Stelle der Chronik des Hugo Falcandus, wonach die Kenntnis der
lingua Francorum
am Hof notwendig gewesen sei, in der Forschung überbewertet worden. Sie bezieht sich wahrscheinlich nur auf die Kanzlerschaft des aus Frankreich stammenden Stephan von Perche (1167–68), der während der Regentschaft seiner Cousine, der Königin Margarete, in Palermo eine ebensorasche wie kurze Karriere machte. Petrus von Eboli spricht in seiner zwischen 1195 und 1197 entstandenen Bilderchronik hingegen von der dreisprachigen Bevölkerung von Palermo und illustriert dies durch die Darstellung von griechischen, arabischen und lateinischen Kanzleischreibern, die in drei verschiedenen Räumen arbeiteten. Diese Form der Mehrsprachigkeit gehörte Ende des 12. Jahrhunderts allerdings bereits der Vergangenheit an, denn inzwischen war auch die Königskanzlei in Palermo latinisiert worden.
Seit der Mitte des 12. Jahrhunderts ging der Einfluss der griechischen und arabischen Beamten am Hof zurück. Bezeichnend ist, dass nach dem Tod Georgs von Antiochia der aus dem lateinischen Kulturkreis stammende Kanzleibeamte Maio von Bari (gest. 1160) zum Premierminister aufrückte. Nach seinem Tod übertrug Wilhelm I. die Regierungsgeschäfte, für die er im Unterschied zu seinem Vater kein großes Interesse zeigte, einem mehrköpfigen Rat von Vertrauten, den sogenannten Familiaren des Königs. In diesem normalerweise aus drei bis vier Mitgliedern bestehenden Gremium, das nur während der Regentschaft Margaretes auf bis zu zehn erweitert wurde, waren ursprünglich neben Mitgliedern des Klerus und der Verwaltung (darunter Eunuchen) auch Adlige vertreten. Letztere wurden jedoch vom Familiarenrat ausgeschlossen, nachdem Wilhelm II. seine Herrschaft ab 1171 eigenständig auszuüben begann.
Der Hof in Palermo war ein kulturelles Zentrum ersten Ranges, die Könige wissenschaftlich interessierte Mäzene: Roger II. ließ von einem byzantinischen Theologen (Neilos Doxapatris) ein griechisches Werk über die Geschichte der Patriarchate Antiochia, Rom, Alexandria, Jerusalem und Konstantinopel anfertigen, in dem, vielleicht als eventuelles Druckmittel auf den Papst, der Primat Konstantinopels gegenüber Rom herausgestellt wurde; den gelehrten al-ldrīsī beauftragte Roger mit einer arabischen Beschreibung der damals bekannten Welt und der Anfertigung einer Erdkarte. Während diese beiden Werke nicht ins Lateinische übersetzt wurden und daher in der westlichen Welt unbekannt blieben, wurden unter Wilhelm I. griechische Werke des Euklid, Aristoteles, Platon und anderer zum erstenMal ins Lateinische übertragen und damit der westlich-europäischen Kultur vermittelt. Wenn wir das im Norden bis Montecassino reichende Königreich Sizilien in seinem ganzen Umfang betrachten, so erkennen wir die Dominanz der lateinischen Kultur, die die anderen Kulturen immer weiter an den Rand drängte. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts wurden daher mehrsprachige Persönlichkeiten immer seltener: Eine Person wie Eugenios von Palermo (gest. 1202), der aus dem Arabischen in seine Muttersprache Griechisch, aber auch direkt ins Lateinische übersetzte, war jetzt eine Ausnahme.
Die durch das neue Königreich erlangte politische Einheit führte nicht zur Bildung eines Gemeinschaftsbewusstseins. Dazu waren die regional unterschiedlichen politischen, kulturellen und religiösen Traditionen des Südens zu stark. Es gibt auch, abgesehen von der Insel Sizilien, kaum Zeugnisse für ein regionales Zusammengehörigkeitsgefühl, während lokale Identitäten und Rivalitäten gut zu belegen sind. Ein in Briefform verfasstes politisches Manifest (um 1190), das zum Widerstand gegen die Ansprüche des Staufers Heinrich VI. auf den sizilianischen Thron und zur Unterstützung König Tankreds von Lecce aufrief, richtete sich an den Patriotismus der Sizilianer, die zur Verteidigung der «Freiheit ihres Vaterlands» gegen die deutschen Barbaren aufgefordert wurden. Aus dem Text, der an Petrus, den Schatzmeister der Kirche von Palermo, gerichtet ist, geht aber hervor, dass auf Sizilien zwischen Christen und Muslimen Uneinigkeit herrschte, es also nur ein begrenztes sizilianisches Gemeinschaftsbewusstsein gab.
Außerdem wird hier von einer gemeinsamen Aktion von Sizilianern und Apuliern abgeraten mit der Begründung, dass letztere
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