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Die Novizin

Die Novizin

Titel: Die Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Falconer
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übler Gestank nach Schweiß und Kot in die Nase. Dann wurde mir klar, dass ich selbst ihn verströmte.
    »Zieht diese Fetzen aus«, flüsterte er und reichte mir ein Bündel mit sauberer Kleidung.
    Ich rang mit den verrotteten Lumpen, die mir moderig am Leib klebten, aber die Nachwirkung des Tranks und die Eiseskälte hatten meine Finger gefühllos und ungeschickt gemacht.
    Bernard kauerte vor mir und sah mir zu.
    »Dreht Euch um«, forderte ich mit schwacher Stimme.
    »Ich will Euch ansehen. Ich will mich an Euch erinnern können. Ich will mich daran erinnern können, wie schön Ihr seid.«
    »Ich bin nicht mehr schön, dank Eures Ordensbruders. Es sei denn, Ihr findet welke Haut und einen ausgezehrten Körper anziehend.« Ich konnte mich einfach nicht vor ihm ausziehen, ich schämte mich zu sehr.
    Bernard nickte verständnisvoll, erhob sich und wandte sich ab. Langsam und mühevoll entledigte ich mich der vor Dreck starrenden Kerkerkleidung. Dann betrachtete ich meinen Körper, geradezu unbeteiligt, als würde er jemand anderem gehören. Überall dort, wo die Ratten an meinen Füßen genagt hatten, befanden sich schwärende Wunden, und der Schmutz war so tief in meine Haut eingedrungen wie Tinte in Pergament. Wo einst festes Fleisch gewesen war, stachen jetzt überall die Knochen hervor.
    Ich zog das neue Oberkleid und den Umhang an, die er mir gegeben hatte. Der Umhang war aus Bärenfell, hatte eine Kapuze und fühlte sich auf meiner Haut wunderbar schwer und warm an. Ich hatte schon beinahe vergessen, wie es war, nicht frieren zu müssen.
    Erst jetzt, da ich ganz wach war, begriff ich, was er getan hatte, welcher Gefahr er sich ausgesetzt hatte. Ich wusste nicht, was ich sagen, wie ich ihm danken sollte.
    »Warum habt Ihr mir geholfen?«, fragte ich leise.
    Er drehte sich wieder zu mir um und starrte mich lange Zeit schweigend an. Dann begann er plötzlich, seinen Umhang abzulegen. Dahin gingen also seine Gedanken? Ich konnte mich ihm nicht verweigern, wenn das der Dankeszoll war, den er verlangte. Aber ich war enttäuscht – hatte er wirklich so viel riskiert, nur um etwas zu bekommen, was jedes Mädchen ihm leichtherziger und reinlicher bieten konnte?
    Er kniete vor mir nieder. Seine Brust war glatt und rein wie Marmor. Er zitterte in der Kälte. »Denkt Ihr oft daran, was wir an jenem Tag taten?«
    »Ich denke sehr oft daran«, erwiderte ich, und das entsprach der Wahrheit. Es war der entscheidende Moment in meinem Leben gewesen. Er hatte Schande und Unglück über meine Familie gebracht und Bernard in Sünde verstrickt. Dennoch bereute ich nicht, was an jenem Tag vor drei Jahren geschehen war.
    Bernard ließ seine Kutte zu Boden gleiten. Ich starrte auf seinen Unterleib und dachte einen Augenblick lang, ich würde ohnmächtig. Mein Magen krampfte sich zusammen, und meine Kehle war wie zugeschnürt.
    »Ich wollte ein keusches Leben führen, wie Christus, doch der Gedanke an Euch verfolgte mich Tag und Nacht, sogar noch, nachdem ich dem Prior alles gebeichtet hatte. Ich versuchte, mein Fleisch durch Schmerz zu reinigen, ich geißelte meinen Rücken, bis das Blut an mir hinabrann, aber immer noch dachte ich manchmal an Euch, selbst während des Gebets, selbst während ich zur Komplet einen Psalm sang. Also tat ich mir dies an. Ich glaubte, dass ich für meine Aufgaben in der Kirche frei sein würde, wenn ich die niedrigste Gliedmaße entfernte. Ich tat es für Gott, ich tat es, um mich von Euch zu befreien.« Er schüttelte den Kopf. »Ich wäre beinahe gestorben. Monatelang lag ich im Infirmarium. Die Wunde ist zwar verheilt, aber ich leide oft Schmerzen und vermag nicht mehr richtig Wasser zu lassen. Ihr seht also, dass ich weiß, was wahre Reue und Buße ist.« Er zog seine Kutte wieder an und strich sie glatt. »Ich glaubte, durch meine Tat die Begierde ein für allemal bezwungen zu haben. Doch in dem Augenblick, da ich Euch im Kloster Beausaint wieder sah, kehrte mein Verlangen zurück, auch wenn ich nicht mehr die Möglichkeit habe, es zu befriedigen.«
    Ich musste mein Gesicht abwenden. Mir war klar, dass er sich mir nicht gezeigt hatte, um mich zu demütigen, sondern um sich selbst zu erniedrigen. Tränen strömten über sein Gesicht. Bereute er, was er getan hatte? Ich wusste es nicht und habe es auch niemals erfahren. Die Verstümmelung war furchtbar. Ich fragte ihn nicht, ob er sie sich selbst zugefügt hatte oder ob sie das Werk eines Barbiers war. Es ging über meine Vorstellungskraft, wie sehr er

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